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Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Reuther
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würden sie kommen – und ab in die Konservierung. Aus, Ende, das war‘s, Adieu! Plötzlich zuckten seine Schultern, schüttelte sich sein Körper in zügellosen Lachkaskaden, die lauthals hervorsprühten, ungezähmt – und erstarben, so abrupt, wie sie aufgekommen waren.
    Er wartete mit geschlossenen Augen und hielt den Atem an. Nichts geschah. Der Mensch ist das endliche Wesen, das um seine Endlichkeit weiß und das in diesem Wissen seine Endlichkeit überwindet und seiner Unendlichkeit gewiss wird.
    Edmund wartete. Seine Lider, wie Blei, öffneten sich ohne sein Zutun, sein Blick, der Unendlichkeit geweiht, wanderte träge zur Decke, die grün leuchtende Leiste entlang, von links nach rechts, und fing auf: 08 11 25 SA 9.11. SA. Samstag! Neun Uhr elf! Samstag! Samstags und sonntags gab es in Süd kein Pflichtprogramm!! Er hatte nichts überhört, die Lagerklingel hatte überhaupt nicht getönt!
    Er brauchte eine halbe Stunde, um sich von der Marter der zurückliegenden elf Minuten so weit zu erholen, dass er imstande war, aufzustehen und ins Bad zu gehen. „Wer zum ersten Mal ein Schlafmittel schluckt, sollte sich mit einer halben Tablette begnügen“, sprach er zu seinem Spiegelbild, ehe er sich einer heilsamen Wechseldusche unterzog, die ihn langsam zu sich brachte. Er hatte ausgiebig geschlafen, eine lange, kräftespendende Nacht – er war wohlauf, trotz wirrer Träume und Erwachen mit Schrecken.
     
    Monikas Caféstube war wie immer gut besucht. Jemand winkte Edmund zu. Es war Theo.
    „Bist nun auch hier“, sagte Theo, „neben mir, das ist Helmut, Helmut Kohl, hahaha, ein Namensvetter des Altbundeskanzlers. Helmut, das ist Edmund Konrad. Wie du siehst, ist er noch ganz, so wie du. Drücken wir ihm die Daumen, dass es dabei bleibt. Aber, um Himmels willen, Edmund, setz dich doch endlich.“
    „Theo!“ Edmund suchte nach Worten und fand keine.
    „Muss dir nicht leidtun“, sagte Theo, der seine Gedanken erriet, „es ist, wie es ist. Wenn ich meine Arme behalten darf, bin ich vollauf zufrieden. Und es sieht ganz so aus, als sei das der Fall, sieh dir meine Pranken an. Die lassen sich schlecht verkaufen.“ Diese Hände waren Edmund in West schon aufgefallen. Theo war in seinem richtigen Leben Gleisarbeiter gewesen, das hat seine Spuren hinterlassen. Wenn er seine Arme behalten durfte, war er vollauf zufrieden – die Beine waren weg, na und? Das Wort Epikur flog Edmund durch den Kopf. Er seufzte, bestellte ein Kännchen Kaffee ohne Milch und Zucker.
    „Du bist sehr tapfer“, sagte er.
    „Das hat mit Tapferkeit nichts zu tun, mein Lieber, das geht aufs Konto der Pharmavirtuosen. Ich gebe zu, es behagt mir nicht sonderlich, im Rollstuhl rumzukutschieren, andererseits ist es ein faules Leben. Auf drei meiner Sorte kommt ein Pfleger, Kammerdiener könnte man direkt sagen, der nach unserer Pfeife tanzt. Sie sind reine Blutspender, haben nichts zu befürchten, solange die Obrigkeit mit ihren Diensten an uns zufrieden ist. Du kannst dir gewiss ihren Eifer vorstellen. Sind auf Knopfdruck zur Stelle.“
    Theo klang nüchtern, sachlich, ohne Sarkasmus oder Bitterkeit. „Was mir besonders behagt, ist die Offenheit, die uns gestattet ist. Niemand hängt uns einen Maulkorb um und an Zerstreuung fehlt es uns so wenig wie an lukullischen Genüssen“, fuhr Theo fort, „wir leben nicht mehr lange, dafür in Luxus, in Saus und Braus. Nie zuvor ging es uns so gut wie jetzt. Wir sind jeder Verantwortung enthoben, müssen uns um nichts kümmern, man kümmert sich um uns. Schmerzen kennen wir nicht, wir sind und bleiben gelassen. Summa summarum, wir Ampus sind, jedenfalls die meisten von uns, zufrieden. – Beunruhigt, nahezu in Panik, sind lediglich die Unversehrten, die Neuen vor allem, die das alles noch vor sich haben.“
    Ein Blitz durchzuckte Edmunds Gesicht.
    „Entschuldige“, bat Theo, „tut mir leid, es trifft ja auch nicht jeden. Manch einem bleiben die OPs erspart. Nicht für alle Gliedmaßen und Organe gibt es Abnehmer – vielleicht kommst du mit regelmäßigem Aderlass davon.“
    Hörte er da nicht doch Bitterkeit heraus?
    Helmut Kohl sah still und verstohlen von einem zum andern. Er verzehrte das wer weiß wievielte Hörnchen mit Butter und Honig und schlürfte Unmengen schwarzen Kaffee. Im Gegensatz zu seinem Namensvetter war er dennoch schlank und drahtig.
    Monika brachte Edmund den Kaffee. Ein sehr junges Mädchen gesellte sich mit „Hallo, darf ich?“ zu ihnen an den Tisch.
    „Das weißt du

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