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Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Reuther
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den Himmel an. „Marie-Luise!“, rief Gerd, überquerte das Pflaster, setzte sich neben sie und legte den Arm um ihre Schultern. Edmund blieb stehen und sah zu ihnen hinüber. Ein leichter Schwindel überkam ihn. Er suchte Halt an einem Laternenpfahl. Die Szene da auf der Bank vor der Jasminhecke, wo Gerd das weinende Mädchen zu trösten suchte, könnte in die Obermainanlage passen oder in den Hutpark, in den Riederwald oder unter den Goetheturm. Nur: So groß der Kummer in der fiktiven Scene auch gewesen wäre – es waren Peanuts gegenüber der Repuestos -Realität. Gerd winkte ihn zu sich herüber.
    „Das ist Marie-Luise“, sagte er.
    „Marie-Luise, das ist Edmund, ein Freund … Wir bringen dich jetzt auf dein Zimmer und du nimmst eine Schlaftablette und gehst zu Bett.“
    Die junge Frau nickte. Sie nahmen sie in ihre Mitte und brachten sie zur Adlergasse Nummer neun. Sie weinte nicht mehr, nur gelegentlich war ein Aufschluchzen zu hören. Sie dankte ihren Begleitern in der Tür, sagte, dass sie schon irgendwie damit fertig würde, und verschwand mit dem Versuch eines Lächelns.
    „Ist sie demnächst dran ?“
    Gerd schüttelte den Kopf.
    „Nein, momentan nicht. Marie-Luise ist untröstlich, weil ihre einzige Freundin vor eine Stunde abgeholt wurde. Tot. Anneliese Maybach. Selbstmord. Der neunte Suizid in dieser Dekade. Sie wird soeben auf dem Seziertisch filetiert.“
    „Gerd!!“ Das kam als Schrei und leiser: „Bitte!“
    „Entschuldige, ich vergaß, dass du noch neu bist in Süd.“
    „Kanntest du diese Anneliese Maybach?“
    „Seit meinem ersten Tag in Süd. Sie war schon eine Ewigkeit vor mir hier, sogar schon länger, als ich überhaupt in Repuestos bin. Es fehlte ihr bereits ein Unterschenkel, trotzdem gab sie sich relativ heiter. Mit der Prothese kam sie gut zurecht. Sie spielte Tennis und Federball, gern und oft.“
    „Weiß man, warum sie sich …?“
    „Sie hatte einen Jungen. Ein halbes Jahre alt. In West gezeugt und zur Welt gekommen. Sie litt darunter, als man das Kind nach der Stillzeit von ihr trennte, fand sich aber damit ab. Sie wusste, dass die Kleinsten in der Kinderkrippe liebevoll umsorgt wurden und dass es ihnen an nichts fehlte, denn während der Zeit ihrer Schwangerschaft hatte sie selbst einige Wochen in der Krippe Dienst getan. Gestern erfuhr sie, dass ihrem Jungen das Herz entnommen wurde ...“
    Edmund hielt im Gehen inne. Das Blut in seinen Adern fühlte sich an wie gefroren.
    „Sei mir nicht böse, Gerd, aber ich kann jetzt nicht mit zur Bücherstube.“
     
    Sie metzelten. Kommerziell, kalt und jenseits aller Emotionen. Jenseits religiöser oder ethischer Konzepte. Nicht Hass bewegte sie, nicht Rache, nicht Liebe, nicht Neid. Keine Eifersucht. Töten außerhalb jeglicher menschlicher noch so verruchter Regung. Nicht einmal aus vorgeblichen Obsessionen und ohne Hohn und Spott, Schadenfreude oder Triumph. Einfach so. Sie schlachteten aus, entnahmen Ersatzteile. Gleich Gebrauchtwagenhändlern Stücke vom Autoschrottplatz.
    Metzeln zum Scheffeln . – Menschenschrottplatz Repuestos -Süd.
     
    Sein Kopf war noch immer zentnerschwer, er konnte nicht mehr sitzen, stehen und gehen schon gar nicht. Er legte sich aufs Bett, döste ein und ergab sich halb schlafend der Flut wirrer Gedanken um Menschen wie Duda. Eigentlich uneigentliche Menschen. Der eigentliche Mensch ist gut. Ideologien, Religionen und Fanatismen können sein Gutsein ins Gegenteil verkehren, ihn blenden, irreführen. Ein Zustand, der an der Oberfläche brodelt. Doch er tangiert selbst im verhängnisvollen Wirken nicht die Eigentlichkeit. Im Gegensatz zum seelenlos Uneigentlichen – quallengleich. Wenn Greuelschleuder sich zusammenrotten und Pläne schmieden, entsteht ein Monsterkonstrukt wie Repuestos . Oder Holocaust . Über der Erde und rund um den Ball, wo das Böse stets aus allen Ecken und Enden hervorschießt, wird es angefochten, bekämpft, mitunter beschnitten oder gar unterdrückt. Im ferngelenkten Repuestos indes ist nicht einmal die Chance gegeben zu protestieren, geschweige denn, zu mehr.
    Ihm wurde schwindlig. Endlich versanken die quälenden Gedanken im Labsal der Dunkelheit.
     
    Edmund fuhr hoch und erschrak. Die grün leuchtende Zeit bekannte: neun Uhr! Er hatte das Wecken überhört und war zum Tagesprogramm nicht angetreten! Ein Vergehen hohen Grades. In Süd gab es keine Warnungen! Er lag ausgestreckt auf dem Rücken, bewegungslos, den Schrecken im Nacken und in allen Gliedern. Gleich

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