Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
Herzensfreiheit.“
Edmund schwieg und schüttelte in Gedanken den Kopf. Fragte sich, wie Gerd darüber dachte. Es war zehn vor eins. Um eins, so hoffte er, würde er ihn im „Palmenhof“ treffen.
Gerd saß allein an einem Vierertisch und war dabei, einen Steinbeißer zu zerlegen. Er nickte Edmund zu und schob ihm einladend einen Stuhl zurecht. Die Kellnerin brachte unaufgefordert die Vorsuppe und zückte mit fragendem Blick Block und Bleistift. Als er nicht reagierte, fragte sie:
„Möchtest du die Karte oder weißt du schon, was du willst?“
„Das ist Elena“, sagte Gerd und zu der Kellnerin, „das ist Edmund.“
„Okay, Elena“, Edmund deutete auf Gerds Teller, „bring mir das Gleiche.“
„Gut. Steinbeißer mit Petersilienkartoffeln also. Dazu Zucchini in Sahnesoße oder lieber Gurkensalat?“
„Am besten beides, jeweils eine halbe Ration.“
„Und zum Trinken?“
„Ein kleines Mineralwasser und ein Glas Pouilli.“
Das Lokal füllte sich rasch. Edmund löffelte die braune Brühe mit Todesverachtung. Sie schmeckte wie Brennnesselsaft mit Maggiwürze und Kamillenextrakt. Er sah Gerd an, der von seinem Fisch aufblickte, und sagte:
„Von rosaroter Brille habe ich eigentlich noch nichts feststellen können.“
„Echt nicht? Vielleicht wirkt das Zeug nicht bei dir – das wäre auf die Dauer schlimm. Bei manchen dauert es auch eine Woche.“
„Du wolltest mich was fragen.“
„Nachher. Erst verrätst du mir, welche Laus dir über die Leber gelaufen ist.“
Edmund registrierte die Veränderung in ihrem Verhältnis zueinander. Den abgeschwächten Rückenwind des Lehrers gegenüber dem aufgefrischten des in wenigen Monaten um Jahre gealterten Schülers. Sie segelten in einem Gradienten auf das Vakuum zu.
„Also. Sprich“, forderte Gerd zwischen einem Happen Fisch und einer Gabel Gemüse.
„Es ist nichts Besonderes, für dich jedenfalls nicht, schätze ich“, antwortete Edmund und schilderte ihm sein Gespräch mit Theo und Helmut Kohl.
„Anfangs hat mir das hier auch zu schaffen gemacht. Um ehrlich zu sein, richtig daran gewöhnt habe ich mich nicht ... Ich seh und hör und fühl einfach weg, so gut ich kann, und denke mir, ihr Stoizismus bewahrt sie davor, zu zerbrechen. Epikur, oder was immer es ist, das den armen Teufeln verpasst wird, muss von kolossaler Wirkung sein. Bestimmte Regionen im Gehirn werden ausgeschaltet oder lahmgelegt und das ist hier einfach unerlässlich. Die Spender brauchen es und die Mafiosi wissen das . Kerle wie Theo und Gustav sind gut dran. Es gibt auch welche, bei denen tilgt es lediglich die Schmerzen, die Erbärmlichkeit ihres Körpers verbrämt es nicht und der Suizid geht um. Denen es hilft, die sind …“, Gerd überlegte einen Augenblick, „glücklich – ist Quatsch, zufrieden trifft auch nicht auf alle zu, jedenfalls aber nicht verzwazzelt. Und dieser Kohl würde lieber seine Seele ertränken, statt vor Seelennot nicht ein noch aus zu wissen. Ist schon zu verstehen.“
„Und wie steht es mit dir?“
Gerd sah ihn lange schweigend an.
„Ich will hier raus!“, sagte er schließlich und wischte seinen Teller mit einem Eckchen Weißbrot sauber.
„Im Ablenken verdienst du die Note eins.“
Elena brachte Gerds Erdbeer-Sorbet und Edmunds Platte, die reine Augenweide. Ein Kunstwerk, zu schade, um es zu zerstören. Sie stellte noch Wein und Wasser auf den Tisch und wünschte guten Appetit.
Ohne Begrüßung und ohne zu fragen, setzte sich Ute dazu.
„Elena, das Gleiche wie gestern.“
„Und was war das?“
„Kartoffelsalat, Königsberger Klopse, Bier …“
Ute wandte sich Edmund zu, dem der Appetit zu schwinden begann.
„Hübsch, was da vor dir steht. Ein Jammer, wie das aussehen wird, wenn es dich wieder verlässt. Mir krampft sich jedes Mal das Herz zusammen, wenn ich die Gaben Gottes betrachte, rote Kirschen, gelbe Pfirsiche, frisches Brot, grüner Salat und was sonst noch alles, was sich die Menschen ins Maul stopfen und zu Scheiße verarbeiten.“
Gerd hatte sich gerade den Mund abgewischt und das Dessert herangezogen, als Edmund vorschlug, zu gehen. Die zwei verließen das Lokal. Ute lachte ihnen schallend hinterher.
„Sagte die nicht kürzlich, sie käme bald dran? Es wäre angebracht, die würde gleich beim ersten Mal zum Rumpf zurechtgestutzt. In Nord wäre die gut aufgehoben.“
„Gerd!!“
„Ist doch wahr, verdammt noch mal! – sag, hattest du mal was mit der?“
„Ganz ohne Flachs: Sehe ich so aus?“
„Man
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