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Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Reuther
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weiß ja nie.“
    „Ich halte dir zugute, dass du mich nicht näher kennst. Ich bin von Natur aus monogam, keineswegs jedoch ein Kostverächter. Aber diese Megäre ist keine Kost. Eher eine Kotz.“
    „Von ihrem Hals ab aufwärts abgesehen aber nicht übel.“
    „Werden hier manchmal auch Köpfe amputiert?“
    Edmund sah Gerd zum ersten Mal lachen.
    „Du bist ja direkt gelehrig. Willkommen im Stoikerklub.“
    „Apropos Klub. Wer sind denn so deine Klubfreunde hier?“
    „Hier ist jeder der Freund seiner selbst. Kungeleien gibt es nicht, für niemanden. Liebschaften auch nicht. Wo kein Sex ist, bleiben auch die aus. Und Sex ist nicht. Eine kleine Nebenwirkung der braunen Suppe.“
    „Das ist weiter kein Verlust – doch Freundschaft? Wir beide sind doch Freunde – oder siehst du das anders?“
    Gerd überlegte acht Schritte lang. „Eigentlich nicht“, sagte er dann, „nein, das sehe ich nicht anders. Ausnahmefall.“
    „Dann appelliere ich an unsere Freundschaft mit einer Bitte.“
    „Und die wäre?“
    „Bei nächster Gelegenheit gebe ich dir einen Brief an meinen Bruder Konrad Konrad. Den sollst du ihm überreichen, falls mir etwas zustößt. Du bist gewiss noch hier, wenn er nach Süd überstellt wird.“
    „Ich verspreche es. Gleichzeitig mache ich mir Sorgen um dich. Du wirst doch nicht …“
    „Doch. Ich werde tun, was ich tun muss – im Falle eines Falles.“
    Gerd sagte nichts mehr. Noch lag der Fall des Falles nicht vor und er hoffte, dass ihm zuvor einfiele, wie er Edmund davon abbringen konnte. Es musste was Saugescheites sein, das war klar. Er dachte noch immer positiv. Dachte ans Entkommen ohne Risiko.
    Sie trennten sich an der Ecke Geranienpfad und Finkengasse. Edmund versprach, diesen Abend in die Bücherstube zu kommen.
    „Du wirst es nicht bereuen. Es ist wie Urlaub von hier. Du vergisst, dass du nicht mehr auf der Welt bist.“
     
    Nicht mehr auf der Welt. Worte aus dem Hades. Edmund fröstelte. Sein Magen knurrte, als er an „Gustls Imbiss“ vorbeikam. Dank Utes Aufkreuzen hatte er außer der braunen Brühe nichts zu sich genommen. Er bestellte einen Hamburger und eine Cola. Plötzlich tauchte Marlene auf und setzte sich auf den Hocker neben ihm.
    „Ich muss mich entschuldigen, dass ich vorhin weggelaufen bin“, sagte sie und sah ihn aus verweinten Augen an. „Der Junge in der Bowling-Bar in West war mein kleiner Bruder. Er ist hier in Süd in der Konservierung gelandet ...“
    „Das tut mir …“ Edmund stockte der Atem – draußen war Ute, kam auf den Eingang zu … nein, lief daran vorbei. Er atmete auf.
    „Schlimm, was Repuestos aus ihr gemacht hat“, sagte Marlene, der nicht entgangen war, was Edmund abgelenkt hatte.
    „Kanntest du sie denn davor?“
    „Sehr gut sogar und als liebenswerte und freundliche Person – sie ist einfach nicht mehr sie selbst.“
    Marlene rutschte vom Hocker. „Ich seh mir den Schatz vom Silbersee an – wir sehen uns nachher in der Bücherstube – du kommst heute Abend ja auch. Sehr interessant, die Diskussionsabende. Das gibt’s oben in der Welt nirgendwo. Soweit der Staat abweichende Meinungen nicht ahndet, werden sie durch unsichtbare Strömungen erstickt oder vom Zeitgeist erschlagen. Oder man wird dafür gelyncht, entweder von links oder von rechts. Hier herrscht real existierende Meinungsfreiheit, jeder respektiert – in der Regel jedenfalls – die Meinung des anderen, auch wenn er sie nicht teilt. Und siehe da: Es funktioniert. Da ist zum Beispiel unser Mitspender Ingo Preiß, ein echter Nationalsozialist. Für ihn stünde das Dritte Reich ohne den Holocaust heute als Muster und Vorbild für alle Staaten der Erde da. Nach und nach wären alle Länder dem deutschen Beispiel gefolgt und am Ende glücklich geworden. Das glaubt er wirklich und ich respektiere das, auch wenn ich seine Ansichten nicht teile. Oben jedenfalls würde er dafür eingelocht.“
    Sie gab ihm einen Klaps auf die Schulter und ging. Gustl reichte ihm den Hamburger und die Flasche Cola. „Hättest du eine Tüte da?“, fragte Edmund. Er wollte jetzt doch lieber auf seinem Zimmer sein. Marlenes Aussage über Ute gab ihm sehr zu denken. Was war eigentlich ein Mensch? Spielball der Ereignisse?
     
    Gerds Äußerung ließ Edmund auch auf seinem Zimmer nicht los. Kungeleien gibt es nicht in Süd, Liebschaften auch nicht. Wo kein Sex ist, bleiben auch die aus . Sein Hamburger lag unberührt auf dem Tisch, die Cola hatte er getrunken. Er kam ins Grübeln.

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