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Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Reuther
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dazu.
    „Edmund Konrad, heute angekommen und aus dem Staunen noch nicht heraus.“
    „Und im blauen Wunder noch nicht drin.“
    „Was für eins?“
    „Sie werden‘s erleben.“
    „Seit wann sind Sie hier unten?“
    „Viel zu lange. Die Zeit ist bald um.“
    Die Tür öffnete sich, Franz Gerschpacher stolzierte herein, deklamierte mit Pathos: „Gelobt sei der Herr Tag für Tag! Demütiget euch, bevor ihr zu Fall kommt und werdet nicht müde, Gott zu danken“, und verschwand.
    „Ich krieg die Krise! Kann niemand diesen Menschen bremsen?“ Die ältere Dame, die einmal eine Schönheit gewesen sein musste, saß drei oder vier Hocker von Edmund entfernt, reichlich mit Modeschmuck behängt. Und neben ihr ein junger Mann, brauner Lockenkopf, blasses Gesicht, Grübchen am Kinn. Er lachte kurz auf und sagte:
    „Wozu den Clown bremsen, ist doch immer wieder lustig, sein Bibelsprüchesalat. Wir amüsieren uns und ihm ist geholfen.“
    „Äh, er amüsiert sich und denkt, uns sei geholfen.“
     
    Der Tisch am Fenster wurde frei bis auf einen trübseligen, kleinen Menschen. Edmund setzte sich ihm gegenüber und sagte: „Konrad. Edmund Konrad“, und wunderte sich, wie wach er war nach der Ewigkeit zwischen der letzten Nacht daheim und dieser Stunde. Sein Gegenüber stellte sich als Jochen Jacobson vor. Edmund hatte diesen Mann irgendwann irgendwo schon gesehen. Er kam aber nicht darauf, ob es über oder unter der Erdoberfläche gewesen war.
    „Ich bin seit zwei geschlagenen Monaten in diesem Vorhof zur Hölle und noch keiner Menschenseele begegnet, mit der ich Lust gehabt hätte zu sprechen“, bekannte Jacobson und redete ohne Unterlass – über Gott, die Welt und Repuestos, wobei allein die Welt gut davonkam. Er entlud den Stau zweier Monate und am Ende waren ihm seine Tiraden peinlich.
    „Ich bitte um Nachsicht, dass ich mich so gehen ließ“, sagte der Maschinenbauer, Familienvater von fünf Kindern aus Kelkheim. „Könnte ich in die Welt zurück, wüsste ich das Leben zu schätzen. Wenn ich mir nur mein Geschimpfe über Peanuts vor Augen führe, die üblen Launen, das Genörgel und die müßigen Streitereien, möchte ich mir die letzten Haare ausraufen. Am heftigsten liegt mir der Streit mit Else im Magen. Sie hatte sich so sehr eine Reise in die Normandie zu ihrem Bruder gewünscht, ich Idiot hatte ihr das abgeschlagen. Wie gern wäre ich jetzt mit ihr in der Normandie … Du lieber Himmel, bin ich blind und stur durchs Leben gegangen! Durch die Liebe, durch die Schönheit der Welt …“ Es fiel ihm nicht auf, dass er sich schon wieder „gehen ließ“.
    Auch ich würde die Tage an der Erdoberfläche jetzt bewusster verbringen, dachte Edmund auf dem Weg zu seiner Unterkunft. Die leuchtenden Ziffern über dem Monitor zeigten Mitternacht an, als er nach Hause kam, in der zehnten Stunde seiner Freiheitsberaubung. Nach Hause , mein Gott! Mit schleppenden Schritten und hängendem Kopf machte er sich auf den Weg.
    Er bestieg seine Liegestatt und starrte die Decke an. Vollgestopft. Leergepumpt. Reglos. Der Schlaf stellte sich nicht ein, so sehr er ihn ersehnte. Nach Stunden zomboiden Zustands fiel er in einen flachen Schlaf. Lydia kehrte ihm den Rücken zu, er stand aufrecht vor seiner Elf. Alle klappten ihre Hefte zu, es klingelte zur Pause. Schrill und laut und nahm kein Ende. Davon wachte er auf und da klingelte es noch immer: Wecken in Repuestos. Mit Brachialgewalt katapultierte ihn der Lärm in die neue Realität. An der Monitorleiste blinkte es blau. Edmund schaltete I ein und las:
    Sie begeben sich jetzt zum Schwimmbad.
     
    Die Bewohner der Adlergasse traten fast gleichzeitig aus ihren Kemenaten. „Guten Morgen“ echote es verdrossen von allen Seiten. Edmund reckte auf der Suche nach Gerd vergeblich seinen Kopf in die Höhe. Sie waren wohl zu weit voneinander entfernt. Jemand zupfte ihn am Ärmel. Gustav Kettelers Frau oder Freundin.
    „Tut mir leid, dass ich gestern kurz angebunden war. Es hört sich dumm an, aber ich hatte eine heftige Migräne.“
    „Und jetzt – sind Sie wieder okay?“
    Sie blieb stehen. „Nein, ich …“, sie führte ihre linke Hand zum Mund, stützte sich mit der rechten gegen die Wand und da passierte es – sie musste brechen.
    „Zur Seite bitte, lassen Sie die Rettung durch“, tönte der Lautsprecher und von der Schwalbengasse her kamen zwei Pfleger mit einer Liege auf Rädern, gefolgt vom motorisierten Reinigungsdienst. Die Patientin war kreidebleich, schweißnasse

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