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Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Reuther
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der seit Gründonnerstag Lydias so massive wie haltlose Eifersucht galt?
    „ Gong“
    Alle drehten sich auf den Bauch. Schlimmer als diese ausweglose Situation, schlimmer als die Lautsprecher, schlimmer als die Angst vor dem Ungewissen war ihm der Gedanke, dass sich Lydia in diese grundlose Eifersucht verrannte.
    Ute stöhnte: „Scheißspiel, finden Sie nicht?“
    „Hm.“
    Damals – zwei Tage vor den Osterferien – war Frau Hildebrand vor der Schule mit ihrem Pfennigabsatz in einem Kanaldeckel hängen geblieben und just in dem Moment gestrauchelt, als er vorbeikam. Er hatte sie aufgefangen und sein Arm lag um ihren Rücken, als Lydia wenige Meter entfernt aus dem Auto stieg. Sie war außer sich. Glaubte lange Zeit seiner Erklärung kein Wort. Er hatte ihre Skepsis nie vollständig ausräumen können. Und nun war er nicht heimgekommen ...
    „ Gong “
    Alles drehte sich wieder auf den Rücken. Zugleich wich das ultraviolette infrarotem Licht. Edmund nahm den Lichtwechsel kaum wahr. Lydias mögliche Zweifel nagten weiterhin an ihm. Ich gäbe den Rest meines Lebens darum, dachte er, sie im Arm zu halten und einfach „Ich hab dich lieb“ zu sagen. Ha! Rest! Welchen? Gab‘s da noch einen? Er lachte bitter auf.
    „ Gong “
    Und wieder wälzten sich neunundsiebzig Marionetten um hundertachtzig Grad. Da ist kein Rest. Bin tot. Bestenfalls ein Schatten meiner selbst in fremdem Besitz.
    „Mann, bin ich geil!“, stöhnte sie jetzt, Ute, die Nachbarin. Die Ärmste hatte ihren Verstand bereits verloren, stellte Edmund fest, und wusste darum nicht, wie tot sie längst war. „Ist am besten so.“
    „Echt?“, kam es zurück wie ein Freudenschrei. Edmunds Kopf fuhr auf, die Sonnenschalen rutschten ihm von der Nase. Er hatte den Schluss seiner Betrachtung laut gedacht!
    „Natürlich nicht, was Sie meinen!“, sagte er grober, als er wollte, und bedauerte es sofort. Sie machte „Bäääh!“ Du meine Güte, hat die eine lange Zunge! Sie hielt sie endlich im Zaun. Minuten später ertönte ein dreifacher Gong, das Ende der Liegezeit wurde angesagt.
    Vor dem Nordeingang zur Turnhalle schlüpften sie in Turnanzüge und rutschfeste Socken für die bevorstehende Gymnastik und das Fitnesstraining, die sie den nummerierten Gefachen entnahmen. Sie deponierten darin ihre Overalls und Sandalen. Unter akustischer Anleitung zogen sie im Laufschritt in die Turnhalle ein und bildeten einen Kreis.
    Die ungewohnten Bestrahlungen hatten Edmunds Kopf vernebelt. Er hegte Zweifel, ob er das ganze Prozedere drei Monate durchhalten würde.
    Auf der großen Leinwand an der Stirnseite der Halle, zwei Meter hoch und vier Meter breit, flimmerte ein langer Strand mit weißem Sand, dahinter überschlugen sich die Schaumkronen eines wogenden Meeres. Vor der Leinwand stand breitbeinig und kraftvoll ein Muskelprotz und befahl:
    „ Angefangen bei Herrn Schuster “, sein rechter Zeigefinger zielte auf einen schlanken, jungen Mann mit Meckifrisur, „ tritt jeder Zweite drei Schritte zur Mitte hin, sodass Sie zwei Kreise bilden, und dann machen alle im Saal meine Übungen nach.“
    Musik setzte ein. „Meister Proper“ turnte vor. Den Kniebeugen folgten Lockerungsübungen. Linkes Bein dreimal schnicken, dann das rechte, Rumpfbeuge nach vorn, die Fingerspitzen berühren dreimal wippend die Fußspitzen, aufrichten zum Hampelmann-Sprung und auf der Stelle marschieren im Takt russischer Marschmusik, mit den Füßen fest aufstampfen, die Arme dazu im Wechsel vor- und zurückschleudern, hinsetzen. Die Beine grätschen, die Hände im Nacken falten, den Oberkörper nach vorne wippen, die Nase dem Fußboden so nahe wie möglich, viermal wippen und den Oberkörper aufrichten, die Hände bleiben im Nacken … Irgendwann nahm die Posse ein Ende – die Demütigung blieb.
    Im Fitnesstraining durfte jeder ein Gerät nach eigener Wahl nutzen, die einzige Vorschrift bestand darin, pausenlos zu trainieren. Edmund entdeckte hinter den Barren eine Reihe Ruderboote, die waren offensichtlich sehr beliebt und schnell belegt. Er hatte Glück und ergatterte das letzte.
    Er schloss die Augen, rief sich den Sommer in Port Lligat in Erinnerung, ruderte mit Lydia zu der kleinen Insel am Ausgang der Bucht. Sie machten den kleinen Kahn fest und kraxelten auf dem schmalen Pfad durch stacheliges Gestrüpp den Berg hinauf. Auf der anderen Seite ging es abwärts zu der kleinen, zum offenen Meer hin versteckten Bucht. Sie saßen vor dem schmalen Strand in hüfthohem Wasser auf

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