Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
erlaubt ist?“
„Gewiss doch. Bis zu zwei Personen dürfen sich in einer Kemenate aufhalten.“
Edmund öffnete die Tür.
„Ich muss gleich weiter, bin mit einem Freund verabredt, sei Zeit in West läuft morgen ab. Ihren ersten Tag, ich meine das Pflichtprogramm, haben Sie ja nun hinter sich. Aber zwei Sachen wollt ich Ihnen noch schnell sagen: Wir sollten uns vor Ihrer Unterweisung im Forum am Mittwoch besser nicht mehr sehen. Danach so oft Sie wollen, ich möchte ja über alles mit Ihnen reden.“
„… und das andere?“
„Is sehr wichtig. Verhalte Sie sich in der Zwischezeit unauffällig, bleibe Sie dabei gelassen. Wenn Sie damit ein Problem haben, nutzen Sie das autogene Training. Sie bekommen es auf Kanal fünfundzwanzig, rund um die Uhr.“
Gerd drehte sich, ohne weitere Erklärungen abzugeben, auf dem Absatz um und ging hinaus. Seine Schritte verhallten in der Adlergasse.
Ich muss versuchen, gelassen zu bleiben. Das Grübeln ausschalten, abwarten, was das Forum offenbart. Gerd hat recht.
Er hatte Kopfschmerzen und schluckte ein Aspirin. Dabei kam ihm Gustavs Gefährtin in den Sinn, die ja gestern wegen ihrer Kopfschmerzen so kurz angebunden und heute früh auf dem Weg zum Schwimmbad zusammengeklappt war. Was war aus ihr geworden? Das wollte er nun wissen.
Nach seiner Erinnerung war die Ambulanz in dem großen Gebäudekomplex im Jasminpfad untergebracht. Zu seiner Überraschung erhielt er von der jungen Frau in der Rezeption bereitwillig Auskunft.
Sie erklärte, dass sich Dr. Richter sofort um Angela Schlösser gekümmert und diese sich recht schnell erholt habe.
War also alles in Ordnung. Angela Schlösser, richtig. So hatte Gustav sie ihm seinerzeit vorgestellt. Ob sie noch zusammen waren? Schlösser. Geheiratet hatten sie wohl nicht.
Der Jasminpfad war menschenleer, die Restaurants dagegen gut besucht, es war ja Essenszeit. Die Datenleiste an der Decke zeigte viertel vor zwei. Bis zum Treffen mit Hannelore Voß reichte die Zeit noch für eine Rasur. Er suchte den Friseur in der nahe gelegenen Schwalbengasse auf. Der Figaro war ein recht mürrischer Typ. Einer von der Sorte, die einen ansahen, als sei man ihnen etwas schuldig.
„Guten Tag“, sagte Edmund.
Hunkel, so hieß der Friseur, wie dem Schild über dem Eingang zu entnehmen war, brummte Unverständliches und deutete auf einen der Kunstlederstühle. Nachdem sich Edmund gesetzt hatte, trat Hunkel hinter ihn und sah sein Spiegelbild fragend an. „Rasieren bitte“, antwortete Edmund.
Hunkel seifte ihn wortlos ein und begann mit der Rasur. Er setzte, noch immer schweigend, die Klinge an der rechten Schläfe an, ließ sie routiniert über die Wange schaben – doch plötzlich war seine dunkle Stimme zu vernehmen:
„Wie war dein erstes Erwachen in dieser gottverlassenen Kunststadt? Wie werden die nachfolgenden sein? Achte darauf, wie du morgens aufwachst. Du bist noch nicht Herr deiner Gedanken, auch noch nicht deiner Regungen. Es kostet einige Mühe, die Augen zu öffnen. Versuch einmal zu entdecken, was in dir in den ersten, noch kaum bewussten Augenblicken des Tages vorgeht. Willst du diesen Tag überhaupt – hier, im Labyrinth der Niedertracht? Vergiss nicht: Jeder einzelne Tag wird dir gereicht wie eine Ewigkeit, um glücklich zu sein. Gleich, wo du dich gerade befindest, auf oder in der Welt. Verdüstere deinen Geist nicht mit Angst und Sorgen von morgen. Beschwere dein Herz nicht mit dem Elend, das dir die Ruhe raubt. Morgen kommt erst noch. Heute ist der Tag, den du in der Hand hast. Mach daraus den besten aller Tage. Und so geh mit dir um, jeden Tag aufs Neue.“
Edmund starrte den sonderbaren Heiligen im Spiegel an, der während seiner Rede, bei der er die Zähne kaum auseinanderbrachte, den Kopf neigte, so dass das Kinn fast seine Brust berührte und seine Lippen der Kamera verborgen blieben. Zuletzt nahm er Edmund den Umhang ab und machte sich daran, das Waschbecken zu reinigen. Er sprach kein weiteres Wort und selbst das „Auf Wiedersehen“ quittierte er nicht.
Draußen hatte Edmund das absurde Gefühl, frische Luft zu atmen. Zum ersten Mal drängte sich ihm die Frage auf, woher der Sauerstoff kam, wie wurde er in die Urbanisation geleitet? Entsprechende Geräusche waren nicht zu vernehmen. Es musste eine raffinierte Klimaanlage sein.
Im Interim erwartete ihn Hannelore an einem der Tische in der hintersten Ecke. Den Oberkörper vorgeneigt, saß sie vor einer blau-weißen Tasse, aus der duftender Malvendampf
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