Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
stocksteif stehen und ließ den Satz in sich eindringen. Er wollte seinen Ohren nicht trauen. Langsam drehte er sich um, sah seinem Hintermann stutzig ins Gesicht. Der tat erstaunt: „Kann ich Ihnen helfen – irgendwie?“
„Was sagten Sie?“
„Ich fragte, ob ich Ihnen helfen kann.“
„Davor meine ich – was sagten Sie vorher?“
„Nichts“, antwortete der Lange. Seine großen Segelohren schmückten ein goldener Ring und ein dicker Brillant. „Nichts. Ich spreche aber manchmal mit mir selbst und merke es nicht.“ Er hatte einen widerlichen Mundgeruch. Was weiß dieser Mensch von Angela?, schoss es Gustav durch den Kopf.
„Möchten Sie, dass ich Ihr Buch signiere?“ Gustav zuckte zusammen. Er fuhr herum und sah den Schriftsteller irritiert an. Was tu ich hier, mit dem „Ziegelstein“ in der Hand!
„Wie? – Ach so, Entschuldigung, natürlich, ich bitte darum“, stotterte er und reichte dem Autor den „Ziegelstein“. Seine Hände zitterten im Verein der kreuz und quer durch seinen Kopf zischenden Möglichkeiten, die Angela zugestoßen sein konnten. Markarios musterte ihn bekümmert, mit einem erloschenen und einem lebendigen Auge, reichte ihm das Buch, mit dem Autogramm versehen, zurück und sagte: „Was es auch sein mag, es geht vorüber. Wie alles im Leben.“ Wie das Leben selbst, durchfuhr es Gustav. Er hatte das Gefühl, dass ihn die Leute anstarrten. Der Lange hinter ihm war verschwunden. Gustav sagte Danke, klemmte das Buch unter den Arm, eilte im Slalom um die Tische, an denen sich die Leute bei einer Tasse Kaffee über die Lesung unterhielten, und trippelte treppab, so schnell er konnte. Auf der untersten Stufe wartete der Lange auf ihn und raunte ihm zu: „Gehen wir!“ Wie hypnotisiert folgte Gustav dem Kerl durch die Bahnhofshalle zum Nordausgang und bestieg draußen mit ihm ein Taxi.
„Bockenheimer Warte“, schnarrte der Lange dem Taxifahrer zu. Nach der kurzen Fahrt schritt Gustav schweigend neben dem Schweigenden her, durch die Arkaden der Bockenheimer Landstraße, an Geschäften und Springbrunnenbecken entlang und noch ein Stück weiter bis zu einem Grundstück hinter einem hohen Staketenzaun. Sie schritten durch ein schmiedeeisernes Tor, an einem alten Patrizierhaus mit einem hässlichen Anbau aus Glas und Stahl mit einer großen, blauen Eule in der Tür vorbei, einen sachte ansteigenden Kiesweg hoch in einen verwilderten Garten. Hinter riesigen Rhododendronbüschen befand sich ein Unterstand, eine ehemalige Remise, sorgfältig restauriert. Es roch nach Schmieröl und Lack. Eine alte Kutsche und vier Oldtimer, blitzblank geputzt, waren hier untergebracht. „Spielzeug des Hausherrn“, unterbrach der schreckliche Mensch kurz sein Schweigen. Gustav sagte nichts. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Hinter den Fahrzeugen führte eine Eisentür in eine fensterlose Werkzeugkammer, wo jetzt, als der Schweigsame aufschloss, ein Deckenlicht aufflammte.
„Kommen Sie, wir sind gleich da.“
Der Fußboden war mit einem Sisalteppich ausgelegt. An der hinteren Wand befanden sich Regale mit Werkzeugen, Farbtöpfen und allerlei Krimskrams, vor der rechten Wand stand eine alte Truhe. Gustav setzte zu einer Frage an, der Mann aber führte einen Zeigefinger an seinen Mund, ließ seine Augen rollen und schloss die Türe von innen zu. „Es ist besser“, sagte er, „wenn wir nicht gehört und nicht gestört werden.“
Der tickt doch nicht richtig, dachte Gustav, wie soll uns hier jemand hören!
Der Hagere schlug jetzt den Teppich zurück und klappte eine Falltür auf. Sie standen am Rande eines dunklen Schachtes mit einer Leiter, die in die Tiefe führte.
„Wenn das der Weg zu meiner Freundin ist, werde ich mit polizeilicher Eskorte hinabsteigen.“
Er erntete eine Lachsalve des Finsterlings.
„Wer sagt denn, dass du hier die Bedingungen stellst?“
„Okay, ich verzichte darauf, sie zu sehen.“
Plötzlich hatte der Kerl ein Schießeisen in seiner Rechten und drückte es Gustav gegen die Hüfte.
„Dazu ist es zu spät. Außerdem wartet sie mit Sehnsucht auf Sie.“
„Sie ist am Leben?“
„Aber sicher doch! Am Leben, unversehrt und voller Hoffnung, dich baldigst zu sehen. Jetzt aber Schluss mit dem Gequatsche, die Leiter runter – du voraus!“
Beim Betreten der ersten Sprosse gingen unten Lichter an, nach der siebenten schloss sich über ihm die Decke, nach der zwanzigsten stand Gustav in der Mitte eines vier mal vier Meter großen Raumes. Bis auf sein klopfendes Herz
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