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Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)

Titel: Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne Reuther
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sie bekommt ganz bald ein Kind. Obwohl sie schon seit Monaten hier ist und sicher wissen wird, was hier läuft, konnte ich von ihr nichts herausbekommen. Vielleicht habe ich sie gekränkt. Seit gestern schneidet sie mich.“
    „Ich glaube eher, sie geht deinen Fragen oder deinen fragenden Augen aus dem Wege. Der Stadtführer , der mich nach meinem Rutsch in die Tiefe in Repuestos empfangen hat, und zwar hier im ‚Palmenhof‘, ist mir von oben her bestens bekannt. Gerd Schäfer. Einer meiner Schüler. Er ist seit Ende der letzten Osterferien hier. Auch er war nicht bereit, mich einzuweihen. Er will mir sogar vor meiner Lektion im Forum nicht mehr begegnen.“
    Angela nickte und pfiff leise durch die Zähne. „Es muss was ganz Schreckliches sein.“
     
    Der Eingang zu der Stadt der
    Schmerzen – der Eingang zu den
    ew´gen Qualen – der Eingang zum
    verlornen Volke.
     
     
    „Wie bitte?“
     
    Edmund zuckte zusammen. „Oh – nichts – entschuldige, ich habe geträumt.“
    Der Kellner servierte, ihr Gespräch verstummte. Schließlich fragte Edmund: „Wie bist du hier heruntergekommen?“
    „Wie alle hier. In einem Aufzug – Abzug sollte ich sagen ... Nach einem völlig unnützen Streit – es ging um den Namen des Kindes, wenn es ein Mädchen werden sollte. Bei einem Jungen waren wir uns einig. Es war Freitagmorgen. Beim Frühstück. Ich hatte ihm in der Nacht offenbart, dass wir Eltern werden. Er war total aus dem Häuschen, wir hatten ja geglaubt, wir könnten keine Kinder bekommen. Wir sind schon vier Jahre zusammen. Wir legten um Mitternacht unseren Hochzeitstag fest. Auf meinen Geburtstag im Juli. Wir waren die glücklichsten Menschen auf der Welt. Und dann, am Morgen, ist es passiert. Ich bin manchmal etwas impulsiv. Aber Gustav ging nicht auf meinen Namenswunsch für ein Mädchen ein, nämlich Eva-Maria, und dann kam’s: Nicht als Vorschlag, sondern einem kategorischen Imperativ gleich sprach er den Namen seiner Lieblingstante Aline aus. Ich rastete aus, knallte mein Besteck auf den Tisch und rannte davon, so wie ich war. Rannte in blinder Wut los, kam aber nicht weit. Unten im Flur erwartete mich ein Kerl. Der hatte offensichtlich mit meinem Erscheinen fest gerechnet. Ich gehe normalerweise freitags um diese Zeit Brötchen holen, an dem betreffenden Morgen ausnahmsweise mal nicht. Es war ein dürrer, langer Typ mit großen, abstehenden Ohren. Er rammte mir unversehens eine Nadel in den Arm und weg war ich. Bei uns kommt man vom Hausgang aus direkt in die Garage. Bestimmt hat er mich dorthin zu einem bereitstehenden Auto geschleppt, vielleicht waren sie auch zu zweit. Als ich wieder zu mir kam, lag ich in einer Wanne mit gelber Brühe und …“
    Ab jetzt hörte Edmund nur noch mit halbem Ohr zu, wie es von da aus weiterging, war ihm allzu bekannt. „So kam ich in die ‚Rosenstube‘, wo Isolde Weinlein aus Wien mich erwartete, die mich dann, wie gesagt, herumführte.“
    Sie aßen schweigend und gedankenverloren.
    Als der Kellner abräumte und den Nachtisch servierte, sagte sie:
    „Ich kann jetzt nicht in die Zelle zurück, ich lauf lieber kreuz und quer durch diese Gefangenenstadt, bis ich müde bin und einschlafen kann. Hast du schon irgendetwas vor?“
    „Nein“, antwortete Edmund, „ich komme mit.“
    „Wir könnten“, schlug Angela vor, nachdem sie einige Gassen und Pfade durchquert hatten, „zum Bowling gehen. Vielleicht treffen wir die Weinlein, die dort gern, wie sie sagte, ihre Wut an den Kugeln auslässt. Du erinnerst dich, sie hat mir die Stadt gezeigt.“
    Die Bowling-Bar in der Lerchengasse war gut besucht. Am Tresen saßen viele Sportler, vor ihnen Gläser mit Orangen- oder Tomatensaft. Sämtliche Bahnen waren von Männern und Frauen belegt, die in Grabesstimmung die Kugeln schoben. Freude kam keine auf, selbst nicht bei allen Neunen. Gesprochen wurde wenig und das Wenige sehr leise.
    „Ich muss hier raus!“, entschied Edmund schon nach wenigen Minuten. Die Wienerin war nicht hier.
    „Gehen wir eine Tasse Kaffee trinken“, schlug Edmund vor, „nicht weit von hier muss ein Café sein.“
    Sie folgten dem Duft, der sie um die nächste Ecke und dann in eine Sackgasse, die Kleibergasse, führte. An ihrer Stirnseite befand sich das Café. Zu beiden Seitenzeilen dieser Nebenstraße leuchteten Aquarien mit traumhafter Fauna, üppiger Meeresvegetation in sattem Grün zwischen roten, verästelten Korallen. Dazwischen bunte Fische. Schneeweißer Sand. Allerlei exotisches

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