Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
werden Andersdenkende eingelocht, in Pseudodemokratien wie bei uns werden sie bepöbelt und auf tausend Arten schikaniert. Das Donnerstagkolleg ist eine Plattform für sie, offen über Dinge zu reden, die sie bewegen.“
„Wie viele?“ Raabe blieb unbeirrt.
„Unterschiedlich. Manchmal fünf oder sechs, meistens mehr, mitunter bis zu fünfzehn, sechzehn, würde ich sagen.“
„Keine Extremisten – damit meinen Sie keine Rowdys, die zuschlagen oder randalieren. Bloß harmlose Kerle mit ausländerfeindlicher Gesinnung, habe ich recht?“
„Damit liegen Sie leicht daneben. Ausländerfeindlich ist nicht das richtige Wort – es sind sogar zwei Engländer dabei – islamfeindlich wäre treffender. Sie verurteilen die apologetische Sophistik unserer politischen Elite – siehe Schäuble – sie verdammen das Leugnen der Gewalt, die von den gewaltverherrlichenden Suren des Korans ausgeht. Sie warnen vor dem Dschihad und davor, dass der Islam unser Land vereinnahmt, und generell vor seiner Ausbreitung in der Welt. Wie auch vor der Ausbreitung des wiederbelebten Kommunismus. Motto: Null Bock auf Gulag.“
„Was hat sich an jenem Donnerstagabend in ihrem Kolleg abgespielt?“
Erneut hob Lutz abwehrend die Hände.
„Da bin ich überfragt, meine Herren. Ich hatte das Lokal voller Gäste und alle Hände voll zu tun. Woran ich mich allerdings erinnere, ist, dass einer aus der Versammlung – das war so gegen zehn – zu mir an den Tresen kam und fragte, ob ich Hans hätte fortgehen sehen. Hatte ich nicht, aber Kleist, mein Kellner. Der Junge sei, sagte er, aus der Toilette gekommen, habe sich nach allen Seiten umgeschaut und sei durch den Hinterausgang fortgegangen.“
„Wie erreichen wir Herrn Kleist?“
„Er wohnt in der Seckbacher Landstraße hundertzwei, aber im Moment hat er Urlaub und ist mit dem Wohnwagen unterwegs. Ohne Telefon – hat er jedenfalls behauptet.“
„Können Sie uns Namen und Adressen der Mitglieder auflisten?“
„Wo denken Sie hin! Ich kenne diese Leute nicht näher. Moment, einer heißt Fritz, dann ist mir noch der Name Erwin im Ohr. Eines der Mädchen heißt Ruth, wie meine Schwester. Das ist aber auch alles, was mir einfällt … nein! Karlheinz noch.“
„Sie sagten Ruth – es sind also nicht nur Männer?“
„Nein. Hören Sie, ich mach Ihnen einen Vorschlag. Kommen Sie nächsten Donnerstag, möglichst vor sieben, dann können Sie alle in Augenschein nehmen, die durch die Gaststube hier nach nebenan ins Kolleg verschwinden. Oder, falls Sie Wert darauf legen, etwa eine Stunde früher, wenn Sie auch den Initiator sehen wollen – der kommt meistens früher, um sich vorzubereiten …“
„Wir werden kommen.“ Raabe reichte dem Wirt seine Karte. „Sagen Sie bitte Herrn Kleist, er soll sich bei uns melden. Wir brauchen seine Aussage. Und vielen Dank für Ihre Hilfe.“
„Einer dieser Namen ist mir erst vor Kurzem über den Weg gelaufen“, sagte Raabe auf der Rückfahrt durch die engen Gassen Seckbachs. Sie kamen nur schrittweise voran.
„Mir auch. Fritz. In der Putzkolonne gibt es einen Fritz.“
„Jaaa! Genau! Einer der drei Bärtigen sogar. Was haben Sie über die Kolonne bis jetzt sonst noch herausgebracht?“
Na endlich interessierst du dich mal für meine Schufterei, dachte Knöpfle.
„An besagtem Tag war die Kolonne vollzählig erschienen und ...“
„Kommen Sie auf den Punkt, Mann! Wer hat da was auf dem Kerbholz!?“
„Bissi was alle, aber abgesehen von Franz Paloschevsky nur Eierdiebereien.“
„Paloschevski – ist das nicht der Dicke mit der Warze auf der Lippe?“
„Nein. Der etwas Ältere mit der Brille.“
Im Büro legte Knöpfle die Fotos der Kolonne vor Raabe auf den Schreibtisch und deutet auf Paloschevsky. „Dunkler Typ, finster dreinblickend, dichtes, welliges Haar, kurzer Schnauzbart, langes Strafregister – seine schwerwiegendste Tat war eine Rauferei in einer Hafenkneipe, die sein Kontrahent nicht überlebte. Paloschevsky, einundzwanzig Jahre, stammt aus der Ukraine, eins von fünf Kindern eines Flickschusters, ging drei Jahre zur Schule, lebte im Balkan vier Jahre auf der Straße, klaute Autos, wurde erwischt und konnte entkommen, gehörte zeitweilig einer Automatenknackerbande an, bis er auf einem Fischdampfer am Schwarzen Meer anheuerte. Nach einem halben Jahr kam es zu der Schlägerei, die ihn fünf Jahre hinter Gitter brachte. Danach mogelte er sich durch Italien nach Deutschland. Hat sich bisher hierzulande – abgesehen
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