Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
Hauptkommissar Raabe warf den Laborbericht verärgert auf den Schreibtisch. Vielleicht gab es ja einen vierten, der sich den Bart mittlerweile abrasiert hatte. Das galt es noch zu klären. Das Haar war immer noch die einzige Spur zum Mörder des Schülers Scholz. Ein zäher Fall! Raabe war heute nicht gut drauf. Das Zahnfleisch um den linken Weisheitszahn war entzündet, zudem biss ihn sein Gewissen im Mordfall Scholz, den er Knöpfle überlassen hatte, um sich in aller Heimlichkeit mit der Entführungsserie zu befassen. Und Knöpfle, der seine Chance nutzte und sich mächtig ins Zeug legte, hatte auch noch keinen Durchbruch erzielt. Es war zum Mäusemelken.
Das sollte sich an diesem Morgen ändern, als der Portier ihnen eine Besucherin zum Fall Scholz ankündigte.
„Mein Name ist Annemarie Hildebrand, ich wohne in der Löwengasse 10 hier in Frankfurt und bin Lehrerin an der Hellmann-Schule. Ich bekam heute die Arbeitshefte der Klasse elf zum Korrigieren, die im Auto meines spurlos verschwundenen Kollegen Konrad gefunden wurden. Das Heft des Schülers Scholz lag obenauf. Darin fand ich diese Notiz.“
Sie überreichte Raabe einen abgerissenen Zettel, halb so groß wie eine Postkarte mit winziger Schrift.
Alarmstufe 1 Die Roten tarnen sich braun und entwickeln Radikalisierungsdynamik. Veranlassen Sie, dass am Montag das Symposion im Mousonturm ausfällt und die Initiatoren des geplanten Anschlags gefasst werden. Bitte verraten Sie mich nicht.
Eine Unterschrift fehlte. Raabe und Knöpfle lasen verblüfft den Text. Frau Hildebrand entnahm ihrer Handtasche nun das Arbeitsheft des Schülers Scholz und reichte es ihnen.
„Den Zettel hat Hans geschrieben, das steht für mich außer Frage“, sagte sie. „Vergleichen Sie die Handschrift mit der seines Arbeitshefts. Das gleiche Gekritzel. Die Hefte bekam ich erst vor einer halben Stunde. Ich fuhr sofort hierher.“ Sie stand auf. „Hoffentlich finden Sie den Mörder des Jungen. Wer weiß, am Ende hat er auch Herrn Konrad auf dem Gewissen.“
Raabe vergaß die Zahnschmerzen, räumte seinen Schreibtisch auf, während Knöpfle die Botschaft in den Computer einscannte. Der Junge hatte nicht gesponnen, das Symposion im Mousonturm hatte stattgefunden. Auch der Anschlag. Mitten in Professor Pfannmüllers Vortrag über „Martin Buber – Konzept des geistigen Widerstandes“ gab es eine Detonation, Rauch und Feuer. Verletzt wurde niemand.
Sie fuhren abermals zu den Eltern Scholz. Frau Scholz hatte noch immer rot verweinte Augen, war aber ansprechbar.
„Mein Mann arbeitet wieder. Sie können ihn im Büro antreffen – er arbeitet als Buchhalter in der Dornburg GmbH in der Bertramstraße – oder um halb sechs wiederkommen.“
„Wir besuchen ihn von hier aus sofort im Büro. Bitte kündigen Sie unseren Besuch bei ihm an. Wir hätten aber auch an Sie noch ein paar Fragen.“
„Bitte sehr.“
„Sie sagten, Hans war Einzelgänger. Hatte er denn keine Freunde?“
„Doch – er traf sie nur selten. Öfter war er mit seiner Freundin zusammen.“
Raabe stutzte und fragte sich, warum er das erst jetzt erfahre, verkniff sich aber einen Vorwurf.
„Wie heißt das Mädchen weiter und wo wohnt es?“
„Mechthild Seidler. Im Haus gegenüber von hier – im ersten Stock.“
„Was hat Hans in seiner Freizeit getrieben? Hatte er Hobbys, trieb er Sport?“
„Viel Freizeit blieb ihm nicht. Er hat fleißig gelernt, um ein gutes Abitur zu machen. Er war eifrig, aber langsam, darum hat das Lernen viel Zeit verschlungen. Sein Hobby, das war der Computer, vor dem haben sie jede freie Minute verbracht, Hans und Mechthild. An den Abenden, an denen er zu Hause war. Manchmal bis in die Nacht hinein.“
„Und an denen er nicht zu Hause war?“
„Hat er kellneriert, um den Rechner abzustottern.“
„Und wo?“
„In der Piratenklause , das ist eine Kneipe in Seckbach.“
Raabe zeigte ihr den Zettel, den ihm die Lehrerin ins Präsidium gebracht hatte und der offenbar die letzten Worte enthielt, die Hans in seinem Leben geschrieben hat.
„Können Sie sich denken, was der Junge sagen wollte – abgesehen von dem Anschlag im Mousonturm?“
Frau Scholz‘ Hand zitterte stark, es war ihr nicht möglich, das Geschriebene zu lesen. Raabe las es ihr vor. Sie schüttelte den Kopf und hörte nicht auf damit.
„Frau Scholz, gibt es außer dem Computer noch etwas, wofür sich Hans besonders interessierte?“
Sie sah die Beamten lange an und antwortete zögernd:
„Mir fällt
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