Repuestos: Kolonie der Verschleppten (German Edition)
nichts ein.“
„Bestimmt nicht?“
Ehe sie zur Dornburg GmbH in der Bertramstraße aufbrachen, statteten sie Frau Seidler im Haus gegenüber einen Besuch ab. Sie öffnete die Tür einen Spalt.
„Mechthild ist nicht zu Hause. Sie kann Ihnen auch nicht weiterhelfen. Sie weiß nichts, gar nichts, ganz bestimmt nicht. Lassen Sie sie in Ruhe.“
„Wo ist sie im Augenblick?“
„Das weiß ich nicht.“
„Wann kommt sie nach Hause?“
„Das weiß ich auch nicht.“
Wumms! Lautstark knallte die Tür vor ihren Nasen zu.
Knöpfle kraulte sich im Genick. „Das sagt mir, dass die Tochter uns sehr wohl weiterhelfen kann.“
„Das denke ich auch.“
Als die Besamten ihr Fahrzeug am Ende der Sackgasse wendeten, sahen sie Frau Seidler mit schnellem Schritt die Straße überqueren, in einen Mini steigen und losfahren.
Sie holten sie in der Seckbacher Landstraße wieder ein, ließen andere Autos zwischen ihrem Mini und dem BMW und verfolgten sie bis ans entgegengesetzte Ende der Stadt, wo sie vor einer kleinen Kirche in der Goldbachstraße hielt. Sie überquerte im Eilschritt die Straße, öffnete ein Staketenzauntor, rannte über einen asphaltierten Hof und verschwand in dem alten Backsteingebäude, in dem ein Kindergärtnerinnenseminar untergebracht war. Sie betraten das Schulhaus nach ihr, stiegen leise die sieben Sandsteinstufen zum Erdgeschoss empor. Die Gänge zu beiden Seiten waren menschenleerer, an den Garderobehaken hingen Jacken und Schals. Sie hörten leisen Stimmen vom oberen Stockwerk her. Vorsichtig nahmen sie Stufe um Stufe der breiten Holztreppe bis zur Hälfte und horchten.
„Und dass du ihnen auf gar keinen Fall von den Rüpeln in der Piratenkneipe erzählst, hörst du?“
„Piratenklause. Mama, meinst du nicht, es wäre besser, die Kerle hochgehen zu lassen.“
„Doch, ja ... Aber die Polizei kommt schon von selbst dahinter. Wenn sie jetzt auffliegen, kommen sie sofort auf dich. Außer Hans wusste niemand von dem Abend und dass du seine Freundin warst, das wissen die auch ... Bitte, bitte, Kind, ich habe solche Angst!“
„Gut, Mama, ich werde nichts sagen.“
„Wo hast du den Stick versteckt?“
„Mama, ich habe dir versprochen, den Mund zu halten. Lass es damit gut sein.“
„Mechthild, bitte!“ Die Stimme erstickte in Tränen.
„Im Silberkästchen mit den Lippenstiften auf der Frisierko…“
Die zwei Polizisten fuhren gewaltig zusammen, denn direkt über ihren Köpfen schlug die Pausenklingel an. In den Fluren flogen die Türen auf. Sie beeilten sich, vor der Mädchenmeute dem Schulhaus zu entkommen, trafen jedoch genau mit der Schar aus dem unteren Flur zusammen und wurden von ihr regelrecht hinausgeschoben.
Vor der Abfahrt zur Dornburg GmbH notierte Knöpfle Wort für Wort, was sie gehört hatten, in sein Notizbuch und Raabe rief Konrad Konrad an.
„In einer halben Stunde – mit Glück etwas später – wird im Mordfall Scholz wichtiges Beweismaterial vernichtet. So Blitz und Dampf krieg ich keine richterliche Genehmigung für eine Wohnungsdurchsuchung. Hast du zufällig einen fähigen Mann parat?“
„So ‚Blitz und Dampf‘ für illegales Handeln … da habe ich nur mich selbst. Gib schon durch, wo, was, wie!“
„Ein Computerstick zwischen Lippenstiften in silberner Schatulle – Frisierkommode Mädchenzimmer, Wohnung Familie Seidler im Heimgarten, die Nummer weiß ich jetzt nicht, musst du nachgucken. Es ist das Haus vis-à-vis dem der Familie Scholz …“
„Bis bald!“
Wolfram Scholz empfing die Polizisten in seinem Kontor hinter der Lagerhalle. Seine Antworten glichen denen seiner Frau bis auf die zur Frage, ob Hans sich abgesehen vom Computer für irgendetwas Besonderes interessiert habe.
„Tja – es fällt mir nicht leicht, darüber zu sprechen“, hörten die Beamten, „doch ich glaube … nun, ich muss da was vorausschicken. Wir engagierten einen Studenten, der ihm Nachhilfe erteilte. Das ist zwei Jahre her. Der junge Mann machte auf uns einen sehr guten Eindruck. Irgendwann kam er während einer Nachhilfestunde auf den Versailler Vertrag zu sprechen. Hans hatte davon noch nie gehört. Er begann, sich dafür zu interessieren, lieh sich Bücher über den Ersten Weltkrieg aus und kannte bald die gesamte Literatur zu diesem Thema. Der Bub veränderte sich, wurde zornig auf die ganze Welt, vor allem auf uns, weil wir nie über diese Ungeheuerlichkeiten gesprochen hätten. ‚Und außerdem haben wir Russland nicht überfallen, einfach
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