Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)
Mannes vergraben. Er lächelt sogar, während er sie küsst.
Am Fuß des Flugblatts stehen die Worte: ES GIBT MEHR VON UNS , ALS IHR DENKT .
Instinktiv zerknülle ich den Zettel. Fred hatte Recht, die Widerstandsbewegung ist hier, direkt unter uns. Sie haben offenbar Zugang zu Kopierern, Papier und Boten.
In der Ferne knallt eine Tür und ich zucke zusammen. Plötzlich scheint die Nacht lebendig zu sein. Ich renne zur Veranda und vergesse vollkommen, leise zu sein, als ich durch die Tür husche und sie dreifach hinter mir abschließe. Einen Augenblick stehe ich in der Eingangshalle, das Flugblatt immer noch in der Hand zusammengeknüllt, und atme den vertrauten Geruch nach Möbelpolitur und Bleichmittel ein.
In der Küche werfe ich es in den Müll. Dann überlege ich es mir anders und lasse es stattdessen durch den Schredder laufen. Es ist mir inzwischen egal, ob ich meine Eltern wecke. Ich will einfach bloß das Bild und die Wörter loswerden – zweifellos eine Drohung. Es gibt mehr von uns, als ihr denkt.
Ich wasche mir mit heißem Wasser die Hände und tappe zurück in mein Zimmer. Ich mache mir noch nicht mal die Mühe mich auszuziehen, schleudere nur meine Schuhe weg, nehme das Basecap ab und krieche unter die Decke. Obwohl die Heizung brummt, ist mir kalt. Lange dunkle Finger umklammern mich. Weiche, parfümierte Hände in Samthandschuhen schließen sich um meinen Hals und Lena flüstert von irgendwo weit her – Was hast du getan? Dann lösen sich die Finger gnädig, die Hände lassen meinen Hals los und ich sinke, sinke in einen tiefen und traumlosen Schlaf.
lena
A
ls ich die Augen aufschlage, ist das Zelt von einem schwachen grünen Licht erfüllt, Sonnenlicht, das von den dünnen Zeltwänden eingefärbt wird. Der Boden unter mir ist wie jeden Morgen leicht feucht; die Erde atmet Tau, schüttelt den Nachtfrost ab. Ich höre Stimmen und Töpfeklappern. Julian ist weg.
Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so tief geschlafen habe. Ich glaube, ich habe noch nicht mal geträumt. Ob es sich wohl so anfühlt, geheilt zu sein, erfrischt und erholt aufzuwachen, unbehelligt von den langen, schattigen Fingern, die sich im Schlaf nach einem ausstrecken?
Die Luft draußen ist unerwartet warm. Der Wald ist voller Vogelgezwitscher. Wolken taumeln über einen blassblauen Himmel. Die Wildnis besteht frech auf der Ankunft des Frühlings wie die ersten stolz aufgeplusterten Wanderdrosseln, die im März auftauchen.
Ich gehe zu dem schmalen Fluss, aus dem wir unser Wasser holen. Dani hat gerade gebadet, sie steht ganz nackt da und trocknet sich die Haare mit einem T-Shirt ab. Früher hat mich Nacktheit erschreckt, aber jetzt fällt sie mir kaum noch auf; Dani könnte auch ein dunkler, nass glänzender Otter sein, der sich in der warmen Sonne schüttelt. Trotzdem gehe ich etwas weiter flussabwärts, wo ich mir das T-Shirt ausziehe, um mir Gesicht und Unterarme zu waschen und den Kopf unter Wasser zu tauchen. Als ich wieder hochkomme, schnappe ich nach Luft. Das Wasser ist eiskalt und ich bringe es nicht über mich, ganz unterzutauchen.
Zurück im Lager sehe ich, dass der Leichnam der alten Frau schon weg ist. Hoffentlich haben sie einen Platz gefunden, um sie zu beerdigen. Ich muss an Blue denken und daran, dass wir sie draußen im Schnee liegen lassen mussten, während sich Eis in ihre Wimpern setzte und ihre Augen verschloss, und an Miyako, die verbrannt wurde. Geister, Schattengestalten in meinen Träumen. Ob ich sie je loswerde?
»Guten Morgen, Sonnenschein«, sagt Raven, ohne von der Jacke aufzusehen, die sie gerade flickt. Sie hat mehrere Nadeln zwischen den Lippen aufgefächert und muss zwischen ihnen hindurchsprechen. »Gut geschlafen?« Sie wartet meine Antwort nicht ab. »Überm Feuer gibt’s was zu essen, also halt dich ran, bevor Dani sich Nachschlag holt.«
Das Mädchen, das wir gestern Nacht gefunden haben, ist wach und sitzt neben Raven, in der Nähe des Feuers, mit einer roten Decke über den Schultern. Sie ist sogar noch hübscher, als ich dachte. Ihre Augen sind von einem lebhaften Grün und ihre Haut wirkt frisch und weich.
»Hallo«, sage ich, als ich zwischen ihr und dem Feuer hindurchgehe. Sie lächelt mich schüchtern an, antwortet jedoch nicht, und ich habe sofort Mitleid mit ihr. Ich weiß noch, wie viel Angst ich hatte, als ich in die Wildnis geflohen bin und mich plötzlich bei Raven, Tack und den anderen wiederfand. Ich frage mich, wo sie wohl herkommt und was für schreckliche
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