Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)
aufknoten konnte, weil meine Hände so stark zitterten, habe ich keine Angst – wirkliche Angst – mehr verspürt.
»Hallo?«, flüstere ich.
Wieder ein Rascheln. In der Garage ist definitiv irgendetwas – oder irgendjemand. Starr vor Schreck bleibe ich einen knappen Meter vor der Tür stehen. Idiotisch. Das ist idiotisch. Ich gehe jetzt zurück ins Haus und wecke Dad. Ich sage einfach, ich hätte ein Geräusch gehört, und kümmere mich später um seine Fragen.
Dann höre ich ganz schwach ein Miauen. Die Augen einer Katze blinzeln mich aus der offenen Tür an.
Ich atme auf. Eine streunende Katze – sonst nichts. In Portland wimmelt es nur so von ihnen. Von Hunden ebenfalls. Die Leute kaufen sie und können sich den Unterhalt dann nicht mehr leisten oder haben doch kein Interesse an den Tieren und setzen sie auf der Straße aus. Jahrelang haben sie sich vermehrt. In den Highlands sollen ganze Rudel wilder Hunde umherstreunen.
Ich mache langsam einen Schritt nach vorn. Die Katze beobachtet mich. Ich lege die Hand an die Garagentür und ziehe sie ein Stückchen weiter auf.
»Komm her«, gurre ich. »Komm da raus.«
Die Katze flitzt zurück in die Garage. Sie schießt an meinem alten Fahrrad vorbei und stößt dabei gegen den Ständer. Das Fahrrad wackelt und ich mache einen Satz nach vorn, um es festzuhalten, bevor es umfällt. Der Lenker ist staubig; es ist zwar fast stockdunkel, aber ich kann den Dreck spüren.
Ich halte das Fahrrad mit einer Hand fest und taste nach dem Lichtschalter, um die Deckenleuchte anzuknipsen. Augenblicklich ist in der Garage wieder alles ganz normal: das Auto, die Mülltonnen, der Rasenmäher in der Ecke; Farbdosen und Reservekanister mit Benzin sind an der Wand zu einer ordentlichen Pyramide gestapelt. Die Katze kauert sich dazwischen. Wenigstens wirkt sie relativ sauber – sie hat keinen Schaum vorm Mund oder Schorf am Körper. Nichts, wovor man Angst haben müsste. Ich mache einen weiteren Schritt auf sie zu und sie schießt erneut davon; diesmal flitzt sie um das Auto herum und an mir vorbei hinaus in den Garten.
Als ich das Fahrrad an die Garagenwand lehne, bemerke ich das ausgeblichene lila Haarband, das immer noch um den Lenker geschlungen ist. Lena und ich hatten die gleichen Fahrräder, aber sie zog mich immer damit auf, dass ihres schneller sei. Wir verwechselten die Räder dauernd, wenn wir sie im Gras oder am Strand abgelegt hatten. Dann sprang sie auf den Sattel und kam kaum mit den Füßen an die Pedale und ich stieg wie ein Kleinkind mit angezogenen Knien auf ihrs und so fuhren wir hysterisch lachend nach Hause. Eines Tages kaufte sie im Lebensmittelgeschäft ihres Onkels zwei Haarbänder – lila für mich, blau für sie – und bestand darauf, dass wir sie am Lenker befestigten, um die Räder auseinanderhalten zu können.
Das Haarband ist inzwischen ganz dreckig. Ich bin seit letztem Sommer nicht mehr mit dem Fahrrad gefahren. Dieses Hobby ist genau wie Lena in der Vergangenheit versunken. Warum waren Lena und ich eigentlich beste Freundinnen? Wir hatten nichts gemeinsam. Wir mochten weder das gleiche Essen noch die gleiche Musik. Wir glaubten noch nicht mal an dasselbe.
Und dann ging sie weg und brach mir das Herz so sehr, dass ich kaum noch Luft bekam. Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn ich nicht geheilt worden wäre.
Jetzt kann ich zugeben, dass ich Lena wohl geliebt habe. Nicht auf unnatürliche Art, aber meine Gefühle für sie müssen eine Art Krankheit gewesen sein. Wie kann jemand die Macht haben, einen in tausend Stücke zerspringen zu lassen, und einem gleichzeitig das Gefühl geben, ein Ganzes zu sein.
Der Drang mich zu bewegen ist nun vollkommen verschwunden. Ich will nur noch ins Bett.
Ich knipse das Licht aus, mache die Garagentür zu und vergewissere mich, dass ich den Riegel einschnappen höre.
Als ich mich wieder dem Haus zuwende, sehe ich ein Stück Papier auf dem Gras liegen, das bereits ganz feucht ist. Eben hat es noch nicht da gelegen. Offenbar hat es jemand durchs Tor geschoben, während ich in der Garage war.
Es hat mich also doch jemand beobachtet – und könnte mich auch jetzt noch beobachten.
Langsam durchquere ich den Garten. Ich sehe, wie ich das Flugblatt erreiche. Ich sehe, wie ich mich bücke, um es aufzuheben.
Es ist ein körniges Schwarz-Weiß-Foto, eine Kopie: Es zeigt einen Mann und eine Frau, die sich küssen. Die Frau auf dem Bild beugt sich zurück, ihre Finger sind in den Haaren des
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