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Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)

Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)

Titel: Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Gesicht und dem Himmel hin- und herhuscht.
    Einfach abdrücken. Eine kleine Bewegung; ein Zucken.
    Ich kann auch ihren Atem riechen: heiß und säuerlich.
    Ich stoße sie weg. Sie stürzt keuchend nach hinten, als hätte ich sie gewürgt. »Verschwinde«, sage ich. »Nimm ihn mit« – ich zeige auf den Aufseher, der immer noch stöhnt und seinen Schenkel umklammert – »und verschwinde.«
    Sie leckt sich nervös über die Lippen, ihr Blick wandert zu dem Mann auf dem Boden.
    »Bevor ich es mir anders überlege«, füge ich hinzu.
    Da zögert sie nicht länger; sie geht in die Knie, legt sich den Arm des Aufsehers über die Schultern und hilft ihm hoch. Der Fleck auf seiner Hose ist fast schwarz und breitet sich von der Mitte des Schenkels bis zu seiner Kniescheibe aus. Ich ertappe mich bei dem grausamen Wunsch, dass er verblutet, bevor sie Hilfe finden.
    »Gehen wir«, flüstert Lu ihm zu, den Blick weiterhin auf mich gerichtet. Ich sehe zu, wie sie und der Aufseher die Straße entlanghinken. Jeder seiner Schritte wird von einem Schmerzensschrei begleitet. Sobald die Dunkelheit sie verschluckt hat, atme ich auf. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass Coral sich aufsetzt und sich den Kopf reibt.
    »Mir geht’s gut«, sagt sie, als ich ihr aufhelfen will. Sie richtet sich wacklig auf. Sie blinzelt mehrmals, wie um klarer zu sehen.
    »Bist du sicher, dass du laufen kannst?«, frage ich und sie nickt. »Dann komm«, sage ich. »Wir müssen irgendwie hier raus.«
    Lu und der Aufseher werden uns bei der erstbesten Gelegenheit verraten. Wenn wir uns nicht beeilen, können wir jeden Moment umzingelt werden. Ich verspüre einen heftigen Anfall von Hass, als ich wieder daran denke, dass Lu das Essen angenommen hat, das Tack mit ihr geteilt hat.
    Glücklicherweise schaffen wir es bis zur Grenze, ohne auf eine weitere Patrouille zu stoßen, und finden eine rostige Metallleiter, die zum Sims für die Wachen hinaufführt, das auch leer ist. Wir befinden uns jetzt offenbar im Süden der Stadt, ganz in der Nähe des Lagers, und die Sicherheitskräfte sind vermutlich in den dichter besiedelten Gegenden Waterburys stationiert.
    Coral steigt wacklig die Treppe hinauf. Ich gehe dicht hinter ihr, damit sie nicht fällt, aber sie lässt sich nicht helfen und zuckt zurück, als ich ihr eine Hand auf den Rücken lege. In wenigen Stunden hat sich mein Respekt für sie verzehnfacht. Als wir das Sims erreichen, bricht die Sirene in der Entfernung endlich ab und die plötzliche Stille ist irgendwie noch beängstigender: wie ein lautloser Schrei.
    Auf der anderen Seite von der Mauer herunterzukommen, ist kniffliger. Es geht fast fünf Meter runter bis zu einem steilen Abhang aus losen Kieseln und Fels. Ich gehe als Erste und hangele mich an einem der kaputten Scheinwerfer nach draußen. Als ich loslasse und zu Boden stürze, schliddere ich fast einen Meter vorwärts, knalle auf die Knie und spüre, wie sich die Steinchen durch meine Jeans bohren. Coral folgt mir, ihr Gesicht ist ganz blass vor lauter Konzentration, und kommt mit einem leisen Schmerzensschrei auf.
    Ich weiß nicht, was ich erwartet habe – wahrscheinlich hatte ich befürchtet, dass die Panzer bereits eingetroffen wären, dass sich Feuer und Chaos ausgebreitet hätten –, aber das Lager erstreckt sich wie immer vor uns, ein weitläufiges, löchriges Feld aus spitzen Zelten und Unterkünften. Dahinter, jenseits des Tals, sind die hohen Felsen, bedeckt von einer struppigen Masse aus Bäumen.
    »Was meinst du, wie viel Zeit wir noch haben?«, fragt Coral. Ich muss nicht nachfragen, um zu wissen, was sie meint: bis die Truppen kommen.
    »Nicht genug«, entgegne ich.
    Schweigend gehen wir auf den Rand des Lagers zu – außen herumzulaufen geht schneller, als sich durch das Labyrinth aus Menschen und Zelten zu kämpfen. Der Fluss ist immer noch trocken. Raven und den anderen ist es offenbar nicht gelungen, den Damm zu sprengen – nicht, dass das zu diesem Zeitpunkt noch eine große Rolle spielen würde.
    All diese Menschen … durstig, erschöpft, geschwächt. So sind sie viel leichter zu umzingeln.
    Und natürlich viel leichter zu töten.
    Als wir endlich wieder in Pippas Lager sind, ist meine Kehle so ausgetrocknet, dass ich kaum schlucken kann. Julian kommt auf mich zugelaufen, aber ich erkenne einen Augenblick noch nicht mal sein Gesicht: Es ist eine Ansammlung aus willkürlichen Formen und Schatten.
    Hinter ihm dreht sich Alex vom Feuer weg. Er begegnet meinem Blick und

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