Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)
zu Wort. Alex wirft ihm einen bösen Blick zu. Aber Julian hat Recht: Es ist Zeit genug.
Ravens Stimme klingt angespannt: »Erzähl weiter, Lena.«
»Sie bringen Truppen her«, sage ich. Sobald die Worte aus meinem Mund kommen, habe ich das Gefühl, man hätte mir in den Magen geschlagen.
Erneutes Schweigen. »Wie viele?«, will Pippa wissen.
»Zehntausend.« Ich kann es kaum aussprechen.
Man hört ein heftiges Einatmen, alle im Kreis schnappen nach Luft. Pippa starrt mich weiterhin durchdringend an. »Wann?«
»In weniger als vierundzwanzig Stunden«, sage ich.
»Falls sie die Wahrheit gesagt hat«, wirft Bram ein.
Pippa fährt sich mit der Hand durch die Haare, wodurch sie in alle Richtungen abstehen. »Das glaube ich nicht«, sagt sie, fügt jedoch fast sofort hinzu: »Ich hatte befürchtet, dass so etwas passieren würde.«
»Ich bring sie um, verdammte Scheiße«, sagt Hunter leise.
»Was machen wir jetzt?« Ravens Frage ist an Pippa gerichtet.
Pippa schweigt einen Moment und starrt ins Feuer. Dann steht sie auf. »Wir machen gar nichts«, sagt sie mit fester Stimme, während sie den Blick bewusst durch die Gruppe schweifen lässt: von Tack und Raven zu Hunter und Bram, zu Beast, Alex und Coral und zu Julian. Schließlich begegnet ihr Blick meinem und ich zucke unwillkürlich zurück. Es ist, als wäre in ihrem Innern eine Tür zugeschlagen. Ausnahmsweise geht sie mal nicht geschäftig hin und her. »Raven, Tack und du führt die Gruppe zu einem sicheren Versteck außerhalb von Hartford. Summer hat mir erklärt, wie man dort hinfindet. In den nächsten Tagen kommen ein paar Kontaktleute der Widerstandsbewegung dorthin. Auf die müsst ihr warten.«
»Und was ist mit dir?«, fragt Beast.
Pippa löst sich aus dem Kreis, betritt die dreiseitige Konstruktion in der Mitte des Lagers und geht auf den alten Kühlschrank zu. »Ich tu hier, was ich kann«, sagt sie.
Alle reden durcheinander. Beast sagt: »Ich bleibe bei dir.«
Tack platzt heraus: »Das ist doch Selbstmord, Pippa.«
Und Raven sagt: »Ihr könnt einer Truppe aus zehntausend Soldaten nichts entgegensetzen. Ihr werdet niedergemetzelt …«
Pippa hebt eine Hand. »Ich habe nicht vor zu kämpfen«, sagt sie. »Ich tu, was ich kann, um zu verbreiten, was auf uns zukommt. Ich versuche das Lager zu räumen.«
»Dafür ist nicht genug Zeit.« Coral meldet sich zu Wort. Ihre Stimme ist schrill. »Die Truppen sind schon unterwegs … Es ist nicht genug Zeit, um alle hier wegzubringen, nicht genug Zeit, alle zu informieren …«
»Ich habe gesagt, ich würde tun, was ich kann.« Pippas Stimme klingt jetzt scharf. Sie nimmt den Schlüssel von ihrem Hals, schließt den Kühlschrank auf und holt Essen und Medikamente heraus.
»Wir gehen nicht ohne dich«, sagt Beast stur. »Wir bleiben. Wir helfen dir dabei, das Lager zu räumen.«
»Ihr tut, was ich sage«, entgegnet Pippa, ohne sich zu ihm umzudrehen. Sie hockt sich hin und zieht Decken unter der Bank hervor. »Ihr geht zu dem Versteck und wartet dort auf die Leute von der Widerstandsbewegung.«
»Nein«, sagt er. »Das mache ich nicht.« Ihre Blicke begegnen sich: Ein wortloser Dialog entspinnt sich zwischen ihnen und schließlich nickt Pippa.
»Also gut«, sagt sie. »Aber ihr anderen müsst hier weg.«
»Pippa …«, will Raven protestieren.
Pippa richtet sich auf. »Keine Diskussion.« Jetzt weiß ich, wo Raven gelernt hat, so hart zu sein und wie man Leute anführt. »Coral hat Recht«, fährt Pippa leise fort. »Wir haben kaum Zeit. Ich will, dass ihr in zwanzig Minuten hier weg seid.« Sie lässt erneut den Blick über die Gruppe schweifen. »Raven, nimm dir an Vorräten mit, was du für nötig hältst. Es ist eine Tagesreise bis zum Versteck, etwas mehr, wenn ihr die Truppen umgehen müsst. Tack, komm her. Ich zeichne dir eine Karte auf.«
Die Gruppe löst sich auf. Vielleicht ist es die Erschöpfung oder die Angst, aber alles scheint wie im Traum abzulaufen: Tack und Pippa beugen sich gestikulierend über etwas; Raven wickelt Essen in Decken und verschnürt die Bündel mit alter Kordel; Hunter bringt mich dazu, noch mehr Wasser zu trinken, und dann drängt uns Pippa: Los, los .
Der Mond scheint auf die Serpentinenwege, die den Hügel hinaufführen, bräunlich und trocken, als wären sie in altem Blut getränkt. Ich werfe einen letzten Blick auf das Lager, auf die Menge aus sich windenden Schatten – Menschen, all diese Menschen, die nicht wissen, dass genau jetzt die Gewehre,
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