Requiem (Amor-Trilogie) (German Edition)
sagt. Es dauert eine Weile, bis sich die Worte einen Weg durch den Nebel, durch die wässrigen Echos in meinem Kopf bahnen.
»Lena. Ich glaube, da kommt jemand.«
Sie hat die Worte kaum ausgesprochen, als ein Aufseher – wahrscheinlich der, den wir vorhin mit Lu gesehen haben – um die Ecke biegt und sagt: »Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Der Schuppen war abgeschlossen …«
Als er Coral und mich entdeckt und Lu auf dem Boden liegen sieht, bricht er ab. Coral stürzt sich schreiend, aber unbeholfen und wacklig, auf ihn. Er stößt sie weg und ich höre ein leises Knacken, als ihr Kopf gegen eine der Steinsäulen knallt. Der Aufseher springt vor und holt mit der Taschenlampe nach ihr aus. Es gelingt ihr gerade so, den Kopf zur Seite zu drehen und die Taschenlampe kracht gegen die Steinsäule und erlischt.
Der Aufseher hat mit zu viel Schwung zugeschlagen und ist aus dem Gleichgewicht geraten. Das gibt Coral genug Zeit, um an ihm vorbeizustürmen, weg von der Säule. Sie schwankt und ist unsicher auf den Beinen. Taumelnd dreht sie sich zu ihm um, wobei sie sich mit einer Hand den Hinterkopf hält. Der Aufseher hat seinen Halt wiedergefunden und führt die Hand an den Gürtel. Er hat eine Pistole.
Ich springe auf. Ich habe keine andere Wahl, als Lu unter mir loszulassen. Ich rase auf den Aufseher zu und packe ihn um die Taille. Mein Gewicht und mein Schwung lassen uns beide zu Boden stürzen, wo wir uns mit umeinandergeschlungenen Armen und Beinen einmal um uns selbst drehen. Ich habe den Geschmack seiner Uniform und seines Schweißes im Mund und spüre, wie sich die Pistole in meinen Schenkel bohrt.
Hinter mir höre ich einen Schrei und dann einen Körper zu Boden gehen. Ich bete, dass es Lu ist und nicht Coral.
Dann befreit sich der Aufseher aus meinem Griff, rappelt sich auf und schubst mich grob zur Seite. Er keucht rotgesichtig. Er ist größer als ich und stärker – aber auch langsamer, nicht so gut in Form. Er fummelt an seinem Gürtel herum, aber ich bin auf den Beinen, bevor er seine Pistole ziehen kann. Ich packe ihn am Handgelenk und er stößt einen wütenden Schrei aus.
Peng .
Die Pistole geht los. Die Explosion kommt so unerwartet, dass sie meinen gesamten Körper erschüttert; sie dröhnt bis hinauf zu meinen Zähnen. Ich springe zurück. Der Aufseher schreit vor Schmerz auf und sackt zusammen. Ein dunkler Fleck breitet sich auf seinem rechten Bein aus, er fällt auf den Rücken und hält sich den Schenkel. Sein Gesicht ist verzerrt, schweißnass. Die Pistole steckt immer noch in ihrem Halfter – ein Fehlschuss.
Ich trete vor und nehme ihm die Waffe ab. Er wehrt sich nicht. Er stöhnt nur, zittert und sagt immer wieder: »Oh, Scheiße, oh, Scheiße.«
»Was zum Teufel hast du getan?«
Ich fahre herum. Lu steht keuchend da und starrt mich an. Hinter ihr sehe ich Coral auf dem Boden liegen, auf der Seite, den Kopf auf einem Arm und die Beine angezogen. Mein Herz setzt kurz aus. Bitte lass sie nicht tot sein. Dann sehe ich, wie ihre Lider flattern und eine ihrer Hände zuckt. Sie stöhnt. Also ist sie nicht tot.
Lu tritt einen Schritt auf mich zu. Ich hebe die Pistole und ziele damit auf sie. Sie erstarrt.
»Hey, komm.« Ihre Stimme ist warm, gelassen, freundlich. »Mach jetzt keine Dummheiten, okay? Hör auf.«
»Ich weiß, was ich tue«, sage ich. Ich bin überrascht, dass meine Hand überhaupt nicht zittert. Ich bin überrascht, dass all das – Handgelenk, Finger, Faust, Pistole – zu mir gehört.
Sie bringt ein Lächeln zustande. »Erinnerst du dich noch an den alten Stützpunkt?«, fragt sie mit säuselnder Stimme. »Weißt du noch, als Blue und ich all diese Blaubeersträucher gefunden haben?«
»Untersteh dich, über meine Erinnerungen zu sprechen«, stoße ich hervor. »Und untersteh dich auch, über Blue zu sprechen.« Ich umfasse die Pistole fester und sehe, wie sie zusammenzuckt. Ihr Lächeln schwindet. Es wäre so leicht. Einfach abdrücken. Peng .
»Lena«, sagt sie, aber ich lasse sie nicht ausreden. Ich gehe auf sie zu, schlinge ihr einen Arm um den Hals und ziehe sie in eine Umarmung, wobei ich ihr den Pistolenlauf in das weiche Fleisch am Kinn drücke. Ihre Augen verdrehen sich wie die eines verängstigten Pferdes; ich spüre, wie sie bockt, zittert, sich freizukämpfen versucht.
»Halt still«, sage ich mit einer Stimme, die nicht wie meine eigene klingt. Sie erschlafft – abgesehen von ihrem Blick, der weiterhin entsetzt zwischen meinem
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