Requiem für eine Sängerin
zurücklegte, suchte Derek vergeblich nach Informationen über die Modelagentur oder den Katalog. Er suchte in seinem Gedächtnis nach einem Hinweis, wo Deborah stecken konnte, fand aber keinen. Er hatte sich trotzig und vorsätzlich nicht für ihr Abenteuer interessiert, und außerdem, rechtfertigte er sich, hatte es ohnehin nicht viel zu besprechen gegeben.
Oben im Schlafzimmer fiel ihm auf, dass ihr Make-up und ihr Lieblingsparfüm nicht da waren. Das machte ihn stutzig, und er versuchte herauszufinden, was sonst noch fehlte. Unmöglich zu sagen, ob irgendwelche Kleidungsstücke fehlten; etwas Auffälliges schien jedenfalls nicht abhanden gekommen zu sein. Ihre Zahnbürste war weg, ebenso Haarbürste und Haarspray. Das alles passte zu einem Fototermin, deshalb wunderte er sich nicht weiter.
Dann bemerkte er, dass das Bild neben dem Bett fehlte, ein Familienfoto in einem antiken Silberrahmen, den Deborah von ihrer Tante geerbt hatte. Das war ohne jeden Zweifel ihr kostbarster Besitz. Er überlegte sich zum ersten Mal, ob sie ihn verlassen haben könnte, verwarf den Gedanken aber sofort wieder und kehrte nach unten zurück.
Ihr Pass lag wie gewohnt in der Schublade, aber das Scheckbuch fehlte. Sie hatte im Lauf der Jahre eine Menge gespart, daher bereitete ihm das ein wenig Kopfzerbrechen; es bedeutete, dass sie Geld zur Verfügung hatte. Einen Moment lang wurde ihm durch und durch kalt, und er musste sich auf das Sofa setzen. Das alles ergab einfach keinen Sinn. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie ihn nach den vielen gemeinsamen Jahren einfach verlassen würde; sie war immer so von ihm abhängig gewesen. Und dann waren da die Kinder. Ihn hätte sie möglicherweise verlassen, wenn sie richtig wütend gewesen wäre, aber doch nie die Kinder.
Der Anruf von Brian brachte keine Aufklärung.
«Ihr Auto steht da, mein Freund, wohlbehalten und abgeschlossen, aber von ihr selbst keine Spur.»
«Ich schätze, dann muss ich die Polizei informieren, Brian. Je länger ich es hinausschiebe, desto schlimmer könnte es werden.»
«Wenn dich das erleichtert, warum nicht? Die haben so ihre Erfahrungen. Ich wette, sie sagen dir, dass die Frauen in neunundneunzig Prozent der Fälle sofort wieder auftauchen und dass diejenigen, die tatsächlich weglaufen, ein paar Tage später reumütig wieder angekrochen kommen.» Brian versuchte, ihn zu trösten, aber sie wussten beide, dass seine Worte hohl klangen. Er unternahm einen letzten Versuch, seinem Freund auf seine Weise Hoffnung zu spenden. «Du weißt doch, wie Frauen in diesem Alter sein können. Wenn sie dreißig werden, passiert irgendwas mit ihnen – sie drehen durch. Das könnte eine Menge erklären.»
Derek trieb längst allein auf einem Meer der Ängste. Der kalte Knoten der Furcht saß fest in unmittelbarer Nähe seines Herzens und machte sich bei jedem Atemzug bemerkbar. Was die Polizei betraf, hatte Brian allerdings Recht gehabt. Unterbesetzt, wie sie nun einmal waren, hielten sie Derek Fearnsides Befürchtungen für ein wenig verfrüht.
Derek wusste, er war bei seinem Gespräch mit dem Dienst habenden Beamten wütend, sogar ausfallend geworden, weil er sich so hilflos fühlte. Der geduldige, resignierte Tonfall des Sergeant, der sich anhörte, als hätte er es jeden Tag mit überängstlichen, erbosten Ehemännern zu tun, hatte ihn schließlich zur Besinnung gebracht.
«Wenn sie bis Mitternacht nicht zurück ist, Mr. Fearnside, rufen Sie uns wieder an. Bis dahin, würde ich vorschlagen, entspannen Sie sich und machen sich eine gute Tasse Tee. Glauben Sie mir, Sir, so etwas passiert fast täglich. In praktisch allen Fällen, die mir bekannt sind, ist die vermisste Person wohlbehalten wieder aufgetaucht.»
Diese Worte aus so berufenem Munde spendeten Derek im Laufe des Abends ein Minimum an Trost. Er rief Mavis an und bat sie, die Kinder bei sich zu behalten. Er sagte ihnen kurz am Telefon gute Nacht, gab aber so schroffe Antworten auf ihre arglosen Fragen, dass sie verwirrt zu weinen anfingen und er auflegen musste, bevor es ihm ähnlich erging. Unruhig ging er im Haus auf und ab, ein Bär, der sich in seinem Bau fehl am Platze vorkommt. Er überlegte, ob er sich von Leslie die Adresse geben lassen und nach London fahren sollte, aber der Gedanke an das leere Haus und das Telefon, das möglicherweise läutete, hielt ihn zurück. In jedem Zimmer gab es ein paar Kleinigkeiten, die er hätte erledigen können, aber sobald er sich daran machte, hier einen Topfgriff
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