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Requiem für eine Sängerin

Requiem für eine Sängerin

Titel: Requiem für eine Sängerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Corley
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Instinkte untrüglich.
    Er schlug mit der Faust auf die Kommode – und erschreckte dadurch eine große ingwerfarbene Katze, die hinter dem langen Vorhang vor der Heizung lag. Als das erboste Tier einen Fremden sah, der sich zur Tür stahl, verschwand es unter der Steppdecke, die bis auf den Boden hing. Der Mann machte kehrt, um seine Suche fortzusetzen, und hielt inne. Unter dem Bett – das war wohl der Platz für geheime Dinge.
    Er hob die Bettdecke und sah unter den Lattenrost. Dort lag ein staubiger, alter brauner Koffer. Er griff danach – und z um Lohn sprang ihn eine zehn Pfund schwere wütende Katze an, zerkratzte ihm Hand und Unterarm und hieb mit einer Pfote nach seinem Gesicht. Er verspürte einen stechenden Schmerz, als die Krallen ihm drei parallele Kratzer in Wange und Kinn frästen. Er stieß eine Verwünschung aus; das verdammte Tier hatte ihm Wunden zugefügt, die alle Welt sehen konnte. Er betrachtete sich im Spiegel. Blut lief ihm am Kinn hinab und tropfte auf den Pullover, und auf dem rechten Handrücken quoll Blut aus drei geraden Kratzern; der Latexhandschuh hing in Fetzen herab.
    Die Schmerzen waren das geringste Übel, aber er wollte keine Spuren hinterlassen. Mit einem Kleenex von der Kommode stillte er die Blutung, dann steckte er das besudelte Zellstofftuch in die Manteltasche und öffnete mit der unverletzten Hand den Koffer. Es lagen Dokumente darin, Fotos und Bücher kunterbunt durcheinander. Wahllos griff er ein Album heraus, doch er musste enttäuscht feststellen, dass es nur Familienfotos enthielt. Immerhin war sie systematisch vorgegangen; auf dem ersten Blatt stand in fein säuberlichen Druckbuchstaben: Weihnachtsfeste 1988 (bis dato!) .
    Das nächste Album umfasste mehrere Ferienreisen, Hochzeiten und Familientreffen, alle ab 1985. Als er eine beliebige Seite aufschlug, erblickte er plötzlich das Gesicht von Deborah Fearnside, das von einer anonymen Hochzeitsgesellschaft zu ihm aufschaute. Er nahm das Foto heraus, um es später noch einmal zu betrachten. Ähnliche Alben, nicht ganz so edel, dafür mit irgendwie schrilleren Bildern, legten Zeugnis von Kate Johnstones Vergangenheit bis 1970 ab. Das Schulabschluss-Foto war liebevoll in seinem ursprünglichen Rahmen aufbewahrt. Er warf es beiseite.
    Seine Frustration wuchs. Ein halbes Dutzend Alben hatte außer einem Zufallsfund nichts zutage gefördert; nun blieben nur noch ein Papierumschlag mit ungeordneten Fotos und ein Schuhkarton. Er nahm sich zuerst den Umschlag vor und lächelte. Schulfotos: lange Reihen von Mädchen mit grauen Pullovern und gestreiften Krawatten; Porträtfotos von Johnstone im Alter zwischen elf und achtzehn; Preisverleihungen, Ansprachen, Schulchöre … Und dann erstarrte er.
    Fünf lächelnde Gesichter schauten zu ihm auf, eines zweifellos das einer Katherine Johnstone als Teenager, die dem Fotografen selbstbewusst zugrinste und locker die Arme um die Mädchen an ihrer Seite gelegt hatte. Links lehnte Deborah den blonden Kopf an ihre Schulter – verführerischer Schmollmund, herausfordernder Blick –, rechts zwei halb vergessene Gesichter. Er kannte die Namen, wusste aber nicht mehr, welcher Name zu welchem Mädchen gehörte. Und dort, ein kleines Stück von der Gruppe entfernt, ein Gesicht mit einem wissenden Lächeln, wunderschön und keck.
    Sein Blick wurde trübe. Wie fern die Erinnerung auch sein mochte und wie oft er dieses Foto, das er selbst aufgenommen hatte, auch betrachtete, es wühlte ihn immer wieder auf. Sie veränderte sich nicht, war unwiederbringlich tot. Aber das galt jetzt auch für zwei der anderen, und es würde nicht mehr lange dauern, bis er die ganze Bande verlogener, heimtückischer Biester ausgerottet hatte. Nun war er überzeugt, dass er noch mehr finden würde; hastig klappte er den Schuhkarton auf und zerriss dabei die alte Pappe, wo sie schwächer war als das verblichene Klebeband.
    In dem Karton lagen mehrere Tagebücher mit Jahreszahlen auf den Einbänden und Messingklammern und Schlössern, zu denen die Schlüssel fehlten: «1973 Mein Tagebuch»; «1976 Kates Tagebuch»; «1977-81 Fünf Jahre Tagebuch»; «1982/83 Tagebuch». «Geheim, Hände weg!» war mit Tesaband auf den Schuhkarton geklebt worden, eine Zurschaustellung pubertären Unabhängigkeitsdranges. Er sah auf die Uhr; es war erst halb sieben. Er setzte sich, um im Dämmerlicht das Datum zu suchen, das ihn am brennendsten interessierte.
     
    Ron hatte sein zweites Bier getrunken – zwei in einer halben Stunde

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