Requiem für eine Sängerin
Pathologe ist unterwegs. Detective Sergeant Cooper hat sich über Funk gemeldet und lässt ausrichten, dass er in Kürze eintreffen wird. Die Leiche wurde von einer Schülerin gefunden, Melanie White – sie ist mit einer Beamtin im Zimmer des Hausmeisters. Der Hausmeister ist inzwischen ebenfalls dort.»
«Danke, Nolan.»
Der Constable straffte die Schultern vor Freude, dass er erkannt worden war. Als Fenwick sich abwandte, ergriff er noch einmal das Wort. «Entschuldigung, Sir. Es ist nur eine Eingebung, aber …» Es fiel ihm doch schwer, sich anzumaßen, dem Vorgesetzten einen Vorschlag zu unterbreiten.
«Raus damit, Mann. Was ist?»
«Nun, Sir, ich glaube, sie ist noch nicht lange tot – kann nicht sein. Mein Ältester singt im Schulchor, und die hatten hier Probe. Normalerweise kommt er erst nach sechs nach Hause. Wenn das eine Lehrerin ist – und Melanie White sagt, es ist Miss Johnstone –, muss sie innerhalb der letzten Stunde getötet worden sein. Und ich habe mir überlegt, Sir, während ich hier gewartet habe – wenn er ihren Schlüssel oder ihre Handtasche mitgenommen hat, könnten wir ihn vielleicht in ihrem Haus aufspüren.»
«Ausgezeichnet, Nolan. Ich werde sofort mit den Leuten von der Mordkommission sprechen.»
Binnen weniger Minuten hatte Fenwick die Bestätigung, dass es sich bei dem Opfer tatsächlich um Katherine Johnstone handelte, die anhand ihres Führerscheins identifiziert werden konnte, und dass sich in keiner ihrer Taschen ein Hausschlüssel befand. Ihre Adresse stand auf einer Gasabrechnung in ihrer Handtasche – mit einem schnellen Auto keine fünf Minuten entfernt.
Der verblüffte Cooper brauchte gar nicht erst auszusteigen, da Fenwick ihm den Befehl erteilte, ihm zu folgen und unterwegs Verstärkung anzufordern. Diesmal würden sie alle Blaulicht brauchen.
Im blauen und fliederfarbenen Schlafzimmer des Hauses Hedgefield Nummer 1 studierte der Mann fasziniert ein umfangreiches Tagebuch über fünf Jahre. Er hatte das lächerliche Messingschloss mit einem kleinen Schraubenzieher aufgebrochen und las die Einträge vom Juni 1980. Johnstone wirkte geradezu geschwätzig; für jeden Tag waren wortreich sämtliche Vorkommnisse aufgelistet, danach folgte ein nachdenklicher Kommentar. Sie war ein kluges und umsichtiges Mädchen gewesen, und unter anderen Umständen hätte er die Einträge mit gelindem Amüsement gelesen.
Momentan aber war er auf der Suche – nach Informationen, Bestätigungen, Einzelheiten, damit er seinen Fall der Anklage lückenlos präsentieren konnte. Ungeduldig blätterte er weiter zum zwanzigsten Juni, einem Tag, der tief in seinem Gedächtnis eingegraben war. Es gab ihn nicht. Der Eintrag vom Neunzehnten war da, hoffnungsvoll, aufgeregt, dann nichts mehr. Erst Ende August hatte sie wieder angefangen zu schreiben.
29. August. Ich muss versuchen, die Vergangenheit ruhen zu lassen – aber das kann ich nicht. Jeden Tag muss ich an sie denken und sehe ihr Gesicht, wie ich es zum letzten Mal gesehen habe. Wenn ich einschlafe, singt sie in meinen Träumen, aber ich werde durch die Schreie in meinen Albträumen wach. Lieber Gott. Ich möchte vergessen – aber ich kann nicht. Sie ist immer da. Vielleicht hilft es mir, wenn ich schreibe. Früher war das immer so, aber da habe ich nur über dumme und alberne Sachen geschrieben. Bald ist wieder Schule. Wie soll ich das ertragen? Irgendwie muss es weitergehen.
Für den dreißigsten und einunddreißigsten August fanden sich keine Einträge. Dann, im September, hatte sie wieder angefangen zu schreiben. Das Thema ähnelte dem des neunundzwanzigsten – keinerlei Fakten, nur ein Strom gequälter Gedanken. Rasch blätterte er weiter, wütend über ihr Schulmädchengeschwafel und das Selbstmitleid. Dann erregte ein Eintrag kurz vor Weihnachten seine Aufmerksamkeit.
16. Dezember. Gottesdienst. Wunderschön, wirklich wunderschön. Octavia übernahm ihre Sopranparts, wunderbar, aber die Duette waren nicht dieselben. Das andere Mädchen gibt sich Mühe, aber sie hat einfach nicht den Stimmumfang und die Qualität. Wie sehr wir sie alle vermissen! Ich kam in Tränen aufgelöst nach Hause – wir haben alle gesagt: «Denkt daran – letztes Jahr um diese Zeit.» Sie hat uns alle überrascht. Ihre Stimme. Natürlich wussten wir, dass sie singen konnte, aber irgendwie hatten wir nicht mitbekommen, wie sie sich entwickelte, weil wir alle so auf Octavia fixiert waren. Und im letzten Jahr, als sie und Octavia
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