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Requiem für eine Sängerin

Requiem für eine Sängerin

Titel: Requiem für eine Sängerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Corley
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waren selbst für ihn eine nicht unerhebliche Leistung, aber das trug nichts dazu bei, seinen Frust zu lindern. Es war die zweite Nacht, in der das schlechte Wetter sie daran hinderte, sich ein ruhiges Plätzchen im nahe gelegenen Wald zu suchen. Wieder wandte er sich an Mel.
    «Das reicht, zwei Bier sind genug. Bei solchem Wetter fahre ich nicht mit mehr. Komm schon, Mel – ich bring dich entweder nach Hause oder irgendwohin, wo ich dich vögeln kann, bis der Arzt kommt!»
    Nach Hause wollte Melanie auf gar keinen Fall. Drei Mathematikaufgaben warteten auf sie, ein Französischaufsatz von letzter Woche, der am Freitagvormittag abgegeben werden musste, und der Streit mit ihrer Mutter. Sie dachte an den Musiktrakt und das offene Fenster und fand die Vorstellung gar nicht mehr so übel. Die beiden Drinks hatten sie so sehr aufgewärmt und entspannt, dass ihr sogar Ron wieder reizvoll erschien.
    «Wir könnten es in der Schule versuchen. Manchmal lassen sie im Musiktrakt die Tür oder ein Fenster offen.» Sie wollte nicht mit der ganzen Wahrheit herausrücken.
    «Warum hast du das nicht gleich gesagt?»
    «Ich hab nicht dran gedacht.»
    Ron steuerte seine 250er von der Hauptstraße durch ein offenes Seitentor auf das Schulgelände und versteckte sie hinter einem Rhododendron, der noch in später Blüte stand. Melanie ging voran, einen schmalen Trampelpfad entlang, der zur Rückseite des Musiktrakts führte. Stumm und verlassen stand das Haus in der Dämmerung.
    «Lass es uns da mal versuchen», sagte Melanie und zeigte widerwillig auf das Fenster des Klavierzimmers. Das Wetter und Rons Benehmen hatten ihre Stimmung erneut umschlagen lassen; nun hatte sogar der Gedanke an Mathehausaufgaben etwas Verlockendes.
    Das Fenster war fest verschlossen; Rons Versuche, es zu öffnen, blieben erfolglos.
    «Hat keinen Zweck. Fahr mich lieber nach Hause!» Sie kauerte frierend unter dem Vordach.
    «So leicht gebe ich nicht auf, wo wir schon mal hier sind. Du hast doch gesagt, es könnte eine Tür offen sein.» Er ging um das Haus herum zur Tür, die im trüben Licht des Sturms gerade noch zu erkennen war.
    «Die ist bestimmt abgeschlossen!»
    «Woher willst du das wissen?» Er drehte am Knauf, und die Tür ließ sich mühelos öffnen; sie schwang auf und verdeckte den Eingang zum Umkleideraum. «Komm rein – es ist offen.»
    Melanie spähte an ihm vorbei die dunkle Treppe hinauf. «Ich weiß nicht recht. Der Regen lässt nach – was ist, wenn der Hausmeister seine Runde dreht?»
    «Sei nicht albern. Wenn wir die Tür hinter uns zumachen, merkt er gar nichts – und außerdem können wir uns nach oben verziehen. Ich glaube nicht, dass er da rumschnüffelt.»
    «Na gut, aber nur kurz. Ich sollte um halb sieben zu Hause sein. Muss noch Hausaufgaben machen.»
    Sie stapften die Treppe hinauf und in das Chorzimmer, wo es nach der Probe noch warm war. Ron warf seine Jacke auf den Boden und schubste Melanie darauf. Enttäuschende zehn Minuten später war er schon wieder angezogen, saß zufrieden auf einem der Metallstühle und rauchte, nachdem Melanie ihn gebeten hatte, es nicht zu tun, die zweite Zigarette.
    «Komm jetzt, wir müssen gehen!»
    Sie hörte sich übellaunig an. Die Ereignisse der vergangenen Stunde hatten ihr Unbehagen in regelrechten Widerwillen verwandelt. Ron spürte, dass etwas nicht stimmte, und reagierte mürrisch – weil es ihm gut tat, aber auch, weil er testen wollte, wer von ihnen den stärkeren Willen hatte. Sie würde nicht ohne ihn gehen. Und sei es nur, weil sie nach Hause gebracht werden musste.
    «Komm schon, Ron! Mir ist kalt, und Mom bringt mich um, wenn ich so spät komme.» Das war eine klägliche Lüge, was Ron auch wusste, aber er langweilte sich und fror ebenfalls. Wortlos stand er auf und schlurfte nach unten. Melanie bückte sich, um ihren Mantel aufzuheben, und bemerkte dabei die verschmierten Abdrücke ihrer Schuhe auf dem Holzboden. Im Halbdunkel hielt sie die Nässe für Regen, aber es sah gar nicht nach Wasser aus – mehr wie Farbe, ein dunkles Kirschrot. Sie achtete nicht weiter darauf und ging nach unten.
    Ron stand reglos da und starrte durch die Tür rechter Hand in den Umkleideraum. Er stützte sich schwer am Türrahmen ab, als wäre ihm schlecht. Als sie ihn sah, erstarrte Melanie.
    «Alles in Ordnung?» Sie bekam keine Antwort. Er drehte sich zu ihr um, und sein Gesicht nahm einen Ausdruck an, den Melanie in den kommenden Monaten immer wieder in ihren Albträumen sehen sollte. Ein

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