Requiem für eine Sängerin
alte Akten auf der Suche nach Übereinstimmungen, beschäftigten sich mit unaufgeklärten Verbrechen und vernahmen Angehörige und Freunde, um irgendwo eine Verbindung zu finden.
Andererseits war sein Sohn ernsthaft krank. Die ganze endlose, verregnete Nacht hindurch dachte Fenwick über die sechs gesegneten Jahre seiner Ehe nach, bis zu diesem Punkt. Er war eingefleischter Junggeselle gewesen, als er Monique kennen lernte; überwältigt von ihr, hatte er sie nach nur vier Monaten geheiratet. Seine Freunde, sein Vater (der damals noch lebte) und seine Mutter hatten Zweifel gehegt, aber die einzigartige und wunderbare Liebe, die er für diese Frau empfand, war stärker. Keine Frau hatte ihn je derart fasziniert. Die schlanke, dunkelhaarige Halbfranzösin mit den schwarzen Augen und der makellosen weiß-rosigen Haut verströmte eine Sinnlichkeit, die ihm zur Besessenheit geworden war.
Er hätte keine Kinder gebraucht und war in jeder Hinsicht ein Eigenbrötler geblieben, abgesehen von der Liebe zu seiner wunderschönen jungen Frau. Aber Monique wünschte sich Kinder, und er war überzeugt davon, dass sie eine wunderbare Mutter sein würde, da sie das Leben so leidenschaftlich liebte. Noch während ihrer kurzen Flitterwochen wurde sie schwanger, und acht Monate später kam Bess durch Kaiserschnitt zur Welt. Monique entwickelte kurz darauf eine schwere Depression, die mehr als sechs Monate gründlicher Behandlung erforderlich machte. Zwölf Monate später löste Christophers Geburt eine zweite, wesentlich schlimmere Depression aus, von der sie sich nie ganz erholte.
In der ersten Zeit glaubte Fenwick ganz fest – nicht an einen Gott, sondern an die Liebe, die er und Monique füreinander empfanden. Aber nach dem zweiten Kind wurde es unmöglich, weiter so zu tun, als wäre alles in Ordnung mit ihr. Schließlich gestand sie ihm, dass das Leiden, das sie la mélancholie nannte, in ihrer Familie eine lange Tradition hatte. Ihr Arzt in England nahm die Sache schwerer.
In ihrem abnormen Verhalten konzentrierte sie sich ganz auf sich selbst, nicht auf die Kinder, nicht auf Andrew, den sie zunehmend vernachlässigte. Der erste Selbstmordversuch war fast zum Lachen kläglich: Sie steckte den Kopf in den Gasherd, vergaß aber, das Gas aufzudrehen. Andrew ging darüber hinweg, und es gelang ihnen, einen Schritt in Richtung Normalität zu tun – bis sie ungewollt zum dritten Mal schwanger wurde und eine Fehlgeburt erlitt.
Der zweite Selbstmordversuch – mit Rasierklingen im Bad – wäre beinahe gelungen und wurde nur durch eine aufmerksame Nachbarin vereitelt, die Bess weinend im Garten sah, wo sie unablässig an die Tür klopfte und flehte, eingelassen zu werden. Da hatten sie sie in eine Anstalt einweisen lassen wollen, doch Fenwick war nicht bereit, seine Frau aufzugeben. Von da an tat er nicht einmal mehr so, als würde er arbeiten, vielmehr nahm er Sonderurlaub und blieb zu Hause. Seine Fürsorge nahm zu, der Medikamentenkonsum nahm zu, immer neue Spezialisten untersuchten seine Frau, aber sie wurde mit jedem Tag introvertierter.
Beim dritten Versuch war er zu Hause. Sie hatte ein paar seiner Krawatten zusammengeknotet und eine Schlinge gebunden, die sie an der Deckenlampe im Treppenhaus ihres zweistöckigen Hauses befestigte. Er hatte Porridge zum Frühstück gemacht und wollte seiner Frau eine Tasse Tee bringen. An die Bilder und Gerüche in der Küche erinnerte er sich ganz deutlich. Bess saß brav auf einem Erwachsenenstuhl und aß Reiscrispies; Christopher spielte sein Lieblingsspiel beim Frühstück und schnippte Krümel in Bess’ Schüssel, das Porridge blubberte im Topf wie geschmolzene Lava.
Er hatte gerade das Gas abgeschaltet. Das Zischen der Düsen verstummte, und auch die Kinder gaben keinen Laut von sich, sodass für einen Moment unnatürliche Stille herrschte. In dieser Stille war ein leises Wusch zu hören, als würde ein Vorhang zugezogen, gefolgt von einem verschleimten Röcheln und Würgen. Zuerst dachte er, Monique wäre heruntergekommen und ihr sei übel geworden. So überzeugt war er davon, dass er in das Bad im Erdgeschoss lief, wo sein Unterbewusstsein ihn schließlich auf das aufmerksam machte, was seine Augen gesehen hatten, sein Verstand aber nicht wahrhaben wollte.
Er rannte zur Treppe, wo seine Frau mit den bloßen Füßen strampelte und mit den Armen ruderte. Kostbare Sekunden vergeudete er damit, sie zu erreichen und das Gewicht von der Schlinge zu nehmen, bis ihm klar wurde, dass sie
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