Requiem für eine Sängerin
Augen sehen würden, dass es also jetzt sein musste. Fenwick verschlimmerte die Situation, indem er genau die Frage stellte, vor der Cooper graute.
«Haben Sie alle Berichte noch einmal durchgelesen? Ist Ihnen etwas Wichtiges aufgefallen, das wir übersehen haben?»
Coopers letzte Chance zu lügen – doch er war ein ehrlicher Mann: «Ja, aber wahrscheinlich ist es nichts. Wie Sie schon sagten, wir müssen uns über zu vieles den Kopf zerbrechen.»
«Entweder lohnt es sich, darüber zu sprechen, oder nicht. Entscheiden Sie sich!»
Cooper gab ihm eine Kopie des Berichts über Johnstones Haus; auf einer Seite markierte ein kleiner gelber Haftzettel einen Eintrag in einer langen Liste von Gegenständen, die analysiert worden waren: Eine Seite liniertes Papier aus einem Tagebuch . Datum : 16 . Mai 1979 .
«Und?»
«Sie erinnern sich, dass wir die Tagebücher von 1973 an aufwärts gefunden haben, dass aber die für 1977 bis 1981 fehlten; dies ist eine Seite aus einem Tagebuch von 1979. Sie muss irgendwann herausgefallen sein. Das ändert vermutlich nichts. Ich dachte, möglicherweise hat sie das Tagebuch weggeworfen – vielleicht ist es aus dem Leim gegangen.»
«Möglich. Aber ebenso wahrscheinlich ist, dass der Eindringling es mitgenommen hat. Wir wissen, dass es sich um eine vorsätzliche Tat handelte – was bedeutet, der Mörder hatte ein Motiv. Er ist das Risiko eingegangen, ihrem Haus einen Besuch abzustatten und es zu durchsuchen – dafür muss er einen Grund gehabt haben. Bislang wissen wir nur, dass ein Brief von Octavia Anderson fehlt – und dieses Tagebuch aus den Jahren, in denen Anderson und Johnstone zusammen die Schule besuchten.»
«Aber es steht nichts drin, Sir, nur Geschwätz. Ich sehe den Zusammenhang nicht, und der Fall ist ohnehin schon kompliziert genug.» Cooper registrierte nervös die Stille hinter den Trennwänden.
«Wir haben noch keinen Hinweis in ihrem privaten oder beruflichen Leben gefunden. Keine heimlichen Beziehungen, Affären, dunklen Geheimnisse – nichts. Entweder wir haben etwas übersehen, oder die Tat hat mit ihrer Vergangenheit zu tun. Wir müssen herausfinden, was.»
«Bei allem Respekt, Sir.» Fenwicks Kiefer verkrampfte sich sichtlich. «Es gibt noch eine andere mögliche Erklärung. Die Tat kann geplant gewesen sein, das Opfer aber willkürlich gewählt; möglicherweise hat er sie ein paar Tage beobachtet, eine Fixierung entwickelt, und das ist alles.»
«Und Anderson? Warum hat der Mörder ihren Brief mitgenommen?»
«Wir hatten es schon mit seltsameren Andenken zu tun.»
«Warum hätte er den Brief aufmachen sollen? Wie auch immer, wenn Sie Recht haben, welcher Spur wollen Sie dann folgen? Was wollen Sie den tatendurstigen Leuten hier draußen zu tun geben?» Mit einer ausholenden Handbewegung zeigte er auf den Raum jenseits der Trennwand.
«Sie haben ja Recht, Sir.» Cooper senkte die Stimme. «Aber wir werden sowieso bald unter Druck stehen, was die Größe des Teams angeht.»
«Genau; also nutzen Sie die Zeit. Holen Sie das Beste aus den Leuten heraus, und ermitteln Sie!»
Constable Nightingale war neu und daran gewöhnt, dass sie die monotonen, ätzenden Aufgaben zugeteilt bekam. Jetzt war sie damit betraut, die derzeitigen Aufenthaltsorte der «Klasse von 1980» herauszufinden, wie Fenwicks letztes Ass im Ärmel getauft worden war. Neun hatte sie bereits ausfindig machen können; eine war nach Australien ausgewandert, zwei nach Kanada, und sie war in den Genuss der unerquicklichen Erfahrung gekommen, mit einer Mutter zu sprechen, die ihre achtzehnjährige Tochter vor fast zwanzig Jahren bei einem Autounfall verloren hatte, aber immer noch am Telefon schluchzte, als sie die Namen der Mitschülerinnen ihrer Tochter aufzählte und schilderte, was aus ihnen geworden war. Sie verfügte über ein fast lexikalisches Wissen über die Schulkameradinnen «meiner Anita», da sie geradezu zwanghaft Heirats- und Geburtsanzeigen verfolgt hatte – um so an dem Leben teilzunehmen, das ihre Tochter nie gehabt hatte.
Das hatte Nightingale viele Stunden Arbeit erspart, aber sie war sich dennoch wie eine Grabräuberin vorgekommen und hatte die Frau schließlich mit dem Versprechen unterbrochen, dass sie sich wieder bei ihr melden würde, sobald sie den Hinweisen nachgegangen war, die sie von ihr erhalten hatte.
Sie las die neun Namen, die ihr noch fehlten:
Judith Richards – Canada
Amanda (Mandy) Lovell – Canada
Carol Truman – Australien
Leslie
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