Requiem für eine Sängerin
Bienen betonte die Stille auf dem Friedhof. Die einzigen Farben weit und breit waren Grün und Gold; selbst die Steine in diesem Teil waren in den fünfzehn oder zwanzig Jahren, seit sie in liebevollem Andenken aufgestellt worden waren, stark verwittert. Von ihrer Position aus konnten Fenwick und Anderson keine Gelb-, Rosa- oder Rottöne von Kranzschleifen auf Gräbern sehen.
«Können Sie weitergehen?»
«Ja, es ist wieder gut, aber ich könnte wirklich einen Drink vertragen, Andrew! Würden Sie es aufdringlich finden, wenn ich Sie bitten würde, mir Gesellschaft zu leisten?»
Er hatte eine Menge Arbeit, Unterlagen auf dem Schreibtisch buhlten förmlich um seine Aufmerksamkeit. Aber es war ein schöner Tag, der Fall steckte in einer Sackgasse, und er war in Begleitung einer wunderschönen Frau.
«Sehr gern, Miss Anderson.»
Langsam gingen sie auf das schmiedeeiserne Tor zu; die Sonne schien ihnen auf den Rücken, und sie warfen im grün-goldenen Dunst kurze Schatten.
Als sie das Tor fast erreicht hatten, sah Fenwick aus dem Augenwinkel etwas Rotes. Links, abseits des Weges, war ein Grab mit Dutzenden roter Rosen bedeckt – sie lagen direkt auf dem Boden.
«Großer Gott, sehen Sie sich das an!» Selbst Fenwick war gerührt. «Ich bezweifle, dass nach meinem Tod jemand so etwas tun würde. ‹Carol Anne Truman›», las er. «Da wüsste man doch gern, wer sie war – und wer sie so sehr geliebt hat, dass seit 1980 Blumen auf ihr Grab gelegt werden. Das sind wie viele Jahre? Fast zwanzig! ‹Geliebte Tochter von Vera und Robert, geschätzte Nichte von Alice und George – Requiem Aeternam.› Müssen die Eltern sein – scheint sehr jung gestorben zu sein.»
Fenwick merkte, dass er Selbstgespräche führte. Nach einem kurzen Blick zu dem Grab hinüber war Octavia Anderson weitergegangen.
«Entschuldigung, ich habe mich ablenken lassen.» Er holte auf.
«Ich habe für heute genügend Gräber gesehen.» Sie war brüsk und ernst.
«Zeit für den Drink, was?» Fenwick griff wieder nach ihrem Ellbogen und führte sie weiter, während er darüber nachdachte, wie er ihr klarmachen würde, dass er wusste, dass sie ihn bei ihrer ersten Begegnung belogen hatte.
Der Gottesdienst hatte Detective Constable Nightingale zutiefst gerührt. Dies war ihr erster Mordfall, und er schmerzte. In den ersten Tagen war ihre heimliche Anteilnahme so groß gewesen, dass ihr Zweifel an ihrer Berufswahl kamen. Dann gewann der Nervenkitzel der Jagd die Oberhand, und der Schmerz wurde zu sorgfältig beherrschter Wut. Sie hegte nicht mehr die geringsten Zweifel an ihrer Entscheidung, Polizistin zu werden, fragte sich aber allmählich, ob sie wirklich gut war.
In der Kirche hatten die Verwandten sie am meisten gerührt. Die Leiche hatte keine Bedeutung mehr. Sie hatte die Fotos gesehen, die Autopsieberichte gelesen; die sterblichen Überreste hatten nichts mehr mit Katherine Johnstone zu tun, sie waren nur noch ein Beweisstück. Aber mit den Angehörigen war es etwas anderes. Sie waren richtige Menschen, trauernde Menschen, zu deren geringem Trost gehörte, dass Gerechtigkeit geschehen und der Mörder ihrer Tochter/ Nichte/Freundin/Lehrerin gefunden und bestraft werden würde.
Nightingale hatte das Gefühl, diese Menschen im Stich zu lassen; sie nahm das sehr persönlich. Unmittelbar nach dem Gottesdienst kehrte sie in den Einsatzraum zurück und las erneut ihre gesammelten Notizen und die Akte durch. Sie trug die Verantwortung für die Befragung der Schulfreundinnen. Es war eine enttäuschende Aufgabe gewesen. Sie hatte Hoffnungen auf Leslie Smith gesetzt, aber die Frau war außer sich gewesen, defensiv, nur darauf bedacht, in Ruhe gelassen zu werden. Das Verhör hatte so gut wie nichts ergeben – die lange musikalische Tradition der Schule, ein paar harmlose Jugenderinnerungen, ein paar Namen von Klassenkameradinnen, die ihr eingefallen waren. Eine vergebliche Befragung, die nicht einmal Einblick in Katherine Johnstones Charakter gebracht hatte.
Aber etwas beschäftigte Constable Nightingale. Sie las die Notizen über Smith erneut durch, doch das war es nicht. Frustriert machte sie sich einen Kaffee – durch die Verbindung von Instantkaffee und Milchpulver wurde ihr ein wenig übel, aber wenigstens kam sie auf andere Gedanken. Sie rührte die trübe Brühe gründlich um und erzeugte einen kleinen Strudel in der Tasse. Warum war Smith so defensiv? Warum hatte sie so wenig zu sagen? Warum hatte sie keine Einzelheiten zu Katherine
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