Requiem für einen Rockstar (German Edition)
er diejenigen, die ihm den Start ermöglicht hätten, nicht vergessen wolle. Deshalb gaben sie immer wieder Konzerte im ‹Atlantis› und im ‹Hirscheneck›.»
«Davon wusste ich nichts.»
«Das können Sie auch nicht. Die Konzerte waren einem kleinen Kreis vorbehalten. Guten Freunden und Familienangehörigen. Ganz geheim, damit es keinen Auflauf vor den Lokalen gab. Einfach eine geschlossene Gesellschaft.»
Alles in allem ein ganz normales Leben also. Nichts Aussergewöhnliches. Mit der Einschränkung, dass aus Johannes der berühmte John Lauscher geworden war. Ohne Starallüren, immer noch bescheiden, introvertiert, hilfsbereit. Der nette Junge von nebenan.
«Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?»
«Er hat uns gestern besucht», erklang Hubert Lauschers Stimme.
«War er irgendwie verändert?»
«Nein … Das heisst, doch, jetzt, wo Sie fragen, er war offener, fröhlicher als sonst.»
«Haben Sie ihn nach dem Grund gefragt?»
«Ach wissen Sie, die Fragerei mochte er nicht. Uns genügte es zu wissen, dass es ihm gut geht. Er wirkte einfach gelöst. Geradezu glücklich.»
«Vielleicht war er froh, dass die Tournee zu Ende ging. Dass er wieder einmal zu Hause sein konnte. Wohnte er noch bei Ihnen?»
«Wo denken Sie hin! Schon lange nicht mehr. Die vier Jungs haben zusammen eine grosse Villa in Bottmingen. Leider steht sie meistens leer, da sie auf Tournee sind. Ich spiele dann den Abwart. Zeit habe ich ja. Ich bin seit drei Jahren pensioniert. Frühpensioniert, weil es auf dem Bau nicht so gut läuft. Langsam zieht es zwar wieder an, aber ich will nicht mehr. Ich habe mich ans Rentnerdasein gewöhnt. Es ist eine eigenartige Villa. In ihrer Art wohl einzigartig. Johannes hat sie entworfen. Aus der Vogelperspektive sieht das Gebäude wie ein Kleeblatt aus. In jedem der Blätter wohnt einer der vier. So sind sie zwar zusammen, aber die Intimsphäre jedes Einzelnen ist gewährleistet. In der Mitte befindet sich eine Parkanlage mit einem Swimmingpool und sozusagen im Stil des Kleeblattes ist das Tonstudio eingerichtet. Da wurden die meisten ihrer Lieder komponiert und aufgenommen.»
«Das Anwesen werde ich sicher noch besichtigen. Sie sagten vorhin, dass Johannes einen glücklichen Eindruck auf Sie machte.»
«Er war wirklich ganz verändert. Wir haben ihn natürlich beinahe ein halbes Jahr nicht gesehen. Da ändert sich manches.»
«Ich … ich hätte noch eine Frage. Aber ich weiss nicht, wie ich sie stellen soll. Es … es ist eine intime Frage …»
«Sie wollen wissen, ob Johannes schwul war», brachte Hubert Lauscher die Frage auf den Punkt und sah Nadine in die Augen. Augenblicklich errötete sie. Verdammt, jetzt habe ich es versaut!
«Die Frage stelle ich mir nämlich auch seit einigen Jahren. Ich habe ihn noch nie mit einer Frau zusammen gesehen. Auch nicht mit einem Mann. Aber als Eltern macht man sich schon so seine Gedanken. Darüber reden wollte ich mit ihm nicht. Ich konnte ihn doch unmöglich fragen, Sohn, bist du schwul? Aber beschäftigt hat es uns schon.»
Nadine nippte erleichtert an ihrem längst kalt gewordenen Kaffee.
«Seit gestern wissen wir, dass Johannes nicht schwul war», mischte sich Anna Lauscher ins Gespräch ein. «Er hat uns nämlich erklärt, dass sein Leben endlich Sinn mache. Er habe sich verliebt, in eine Göttin. Mit ihr zusammen würde er die Welt aus den Angeln heben. Es würde sich viel verändern.»
«Hat er Ihnen auch gesagt, wie seine Freundin heisst?»
«Nein, wir haben ihn nicht danach gefragt.»
«Jemand aus der Band? Vom Staff … ich meine von der Administration oder von den Background-Sängerinnen?»
«Wir wissen es wirklich nicht. Er wollte sie uns nach … nach dem letzten Konzert vorstellen. Hubert meinte zwar, dass unsere Wohnung nicht standesgemäss für Johannes Freundin sein würde. Schon eher abschreckend …»
«Abschreckend?»
«Sie sind lieb, Nadine. Aber ich habe Sie von der Küche aus beobachtet, wie Sie über unsere ärmliche Einrichtung erstaunt waren. Ihre Mimik sprach Bände. Wie kann der berühmte Musiker seine Eltern in solch einer ärmlichen Wohnung leben lassen? Keine Sorge. Wir wollen es nicht anders. Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Johannes hat uns ein Haus auf dem Bruderholz gekauft, doch wir haben es untervermietet. Uns gefällt es nun mal hier in unserem Zuhause. Alle unsere Erinnerungen sind in diesen vier Wänden lebendig. Wir wollen hier bleiben. Noch lange, bis uns der Herrgott zu sich ruft.»
Nadine
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