Requiem für einen Rockstar (German Edition)
Erinnerung hatte ihn eingeholt.
«Unzählige Male sassen wir am Rheinbord, auf der Kleinbasler Seite, und liessen den Rhein an uns vorbeiziehen. Das gleichmässige Fliessen war unheimlich beruhigend. John hat an einem dieser Abende etwas gesagt, was uns die ganze Zeit über begleitete. Er zeigte auf die Grossbasler Seite und meinte: ‹Irgendwann werden wir auch dort drüben spielen. Piet, eines Tages werden wir den Schritt über den Rhein wagen. Ganz bestimmt.› Er bezog sich auf früher. Damals hatten ja die Armen im Kleinbasel und die Reichen im Grossbasel gewohnt. So ist es dann auch gekommen. Und bald schon hätten wir den Atlantik überquert. Verrückt. Doch jetzt sind alle Brücken hinter uns abgebrochen. Es gibt kein Morgen und keinen Weg zurück. John ist tot.»
Toto schrie einen der Arbeiter heftig an. Der Mann gestikulierte wild zurück, worauf Toto zwei weitere Roadies in die Bühne beorderte. Zu dritt konnten sie eine lose Stange wieder an den richtigen Ort hieven und befestigen.
«Ein gefährlicher Job.»
«Wie? Ja, aber sie reissen sich drum, obwohl die Bezahlung nicht besonders gut ist. Sie kommen halt viel rum, werden von den Girls umschwärmt. Und sie bekommen von Hanno für jedes Konzert fünf Tickets. Die können sie entweder verschenken oder verkaufen. Letzteres macht sich bei einer erfolgreichen Tour bezahlt.»
«Und die Devils sind sehr erfolgreich.»
«Ja. Aber das kann sich schnell ändern. Heute top, morgen flopp. Sie können noch so gut sein, wenn das Glück fehlt, kommen Sie nicht in die Charts. Schauen Sie John und mich an. Das ‹Hirschi› und das ‹-tis› waren lange für uns das Höchste der Gefühle. Meistens spielten wir nur an Strassenfesten oder in Restaurantsälen. Wie mein Vater», brummte Piet und lachte höhnisch. «Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben. Mam war eigentlich meine Mäzenin. Dann hatten wir Glück. Deep Purple musste kurzfristig am Open Air in Frauenfeld absagen. Einen Ersatz gab es nicht. Wir waren als Zuschauer da und weil einer der Veranstalter uns im ‹-tis› gesehen hatte, quatschte er mich an. Er fragte, ob wir für Deep Purple einspringen könnten. Wir, die kleinen Devils, für die grossen Deep Purple! Na klar konnten wir. Eine andere Band lieh uns spontan die Instrumente. Wir gaben alles. Das Publikum war beschissen. Irgendwie verständlich. Wer interessiert sich schon für eine kleine unbekannte Schweizer Band? Ich hätte am liebsten mitten im Konzert aufgehört und runter geschrieen, ihr Arschlöcher, ihr seid es nicht wert, dass wir für euch spielen. Aber wir haben es durchgezogen. Noch am selben Abend nahm uns Hanno unter Vertrag. Zuerst mit geringem Erfolg. Immerhin spielten wir nun auf echten Bühnen. Den Durchbruch schafften wir, als wir als Vorgruppe von Bryan Adams gebucht wurden. Einfach genial! Was folgte, war zwar wieder der gleiche Frust, denn die Leute kamen nicht wegen uns. Die Vorgruppe störte bloss, zog den Abend unnötig in die Länge. Aber Hanno nahm den Schwung mit. Plötzlich waren wir in. Keine Lückenbüsser mehr, sondern selbst die Stars. Das war unglaublich. Und jetzt ist alles aus.»
«Wollen Sie wirklich aufhören?»
«Ohne John macht es keinen Sinn mehr.»
«Das sollten Sie sich aber wirklich nochmals überlegen. Wieso nicht eine Pause einlegen, zur Ruhe kommen und dann einen neuen Anlauf nehmen?»
«John und ich sind … waren total aufeinander eingespielt. Jeder wusste, was er vom anderen erwarten oder eben nicht erwarten durfte. Ohne John sind die Devils nicht viel Wert.»
«Sehen Sie das jetzt nicht ein wenig zu schwarz?»
«Mag sein … mag schon sein. Ich fürchte mich vor dem nächsten Mittwoch. John gab uns allen Sicherheit. Wenn mal etwas schief ging, hat er instinktiv richtig reagiert. Er stand immer rechts neben mir. Wer auch immer am Mittwoch rechts neben mir steht, er kann John nicht ersetzen.»
«Wer könnte Ihren Freund ermordet haben?»
Es dauerte lange, bis Piet antwortete. Die Stille, nur unterbrochen durch das klirrende Ineinanderklaffen der Metallstangen, war bedrückend.
«Ich habe mir die ganze Nacht Gedanken darüber gemacht. Er kam mit allen gut aus. Wie meine Mutter. Sah immer nur das Gute in einem Menschen. Bewundernswert. Auch wenn er mich damit manchmal zur Weissglut trieb. John hatte keine Feinde.»
Einen schon! Und der musste ihn abgrundtief gehasst haben. Ferrari gingen die Bilder des Toten nicht aus dem Sinn. Sie hatten sich wohl für immer in seinem Gedächtnis
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