Requiem: Roman (German Edition)
auf einer Abfallhalde neben dem Markt; sie traten aus dem Rauch des Lagerfeuers und verschwanden wieder darin, als führten sie ein stümperhaftes Ritual auf. Frauen karrten alte Teppiche und Möbel auf klapprigen Gestellen von Kinderwägen durch die Stadt und bettelten in Hauseingängen. Sie sahen nicht aus, als gehörten sie zu dieser Stadt oder zu diesem Land. Sie sahen aus wie Emigranten aus Osteuropa, Gruppen auf Wanderschaft. Die Frauen trugen Kopftücher, ihre Lippen bewegten sich, als wiederholten sie das Mysterium des Talmud.
Die Kinder der Fahrenden folgten McGladdery und seiner Gefolgschaft durch die Stadt. Sie scharrten mit den Füßen über den Boden, wenn sie gingen, redeten miteinander in ihrem zweideutigen Straßenslang, ihrer Gaunersprache.
»Was für ein beschissenes Chaos«, sagte Speers, »läuft durch die Stadt wie der Rattenfänger von Hameln.«
»Der verhält sich wie keiner von den Schuldigen, die ich bis jetzt zu sehen bekommen habe. Die sind sonst zerfressen von Schuld oder dreist, aber so was ist mir noch nie begegnet.«
McCrink hatte die Reumütigen und die, die Publikum suchten, ebenfalls erlebt. Die Verwirrten und die Berechnenden. Ein finsterer Stamm der Schuldigen, versammelt in Gerichten und Gefängniswagen.
»Die Gerichtsmedizin wird herausfinden, ob er schuldig ist oder nicht«, sagte Speers.
»Was denn für Gerichtsmedizin? Der riecht mir nicht danach.«
»Er riecht wie einer, bei dem etwas nicht stimmt, Sir.«
»Ich weiß nicht so recht.«
McCrink fragte sich, ob es jemanden gab, der die Prüfung bestehen würde, der man McGladdery gerade unterzog. Er nahm an, dass sich McGladdery selbst als Figur einer Geschichte verstand, ein umhertollender Narr, der irgendeiner mittelalterlichen Saga aus den Zeiten der Pest entsprungen war. In jener Ära schien die Stadt über sich selbst hinauszuwachsen, sie entdeckte Ecken, die es vorher scheinbar gar nicht gegeben hatte. Gallows Hill. Chancellors Road. Die Kälte war wie eine Last. Die Stadt schien sich die dunklen Orte einer größeren Stadt angeeignet zu haben. Der kleine Kirchhof an der Kilmorey Street wirkte wie ein von Geistern verfolgter Kreuzgang einer Kathedrale. Einsame Männer, die über den offenen Platz nach Hause gingen, warfen Schatten wie von unheimlichen Spaziergängern. Am Kohlenpier legten jeden zweiten oder dritten Tag fremde Schiffe an.
»Man schnappt immer wieder Fetzen merkwürdiger Sprachen auf«, sagte Margaret, »und man weiß nie, wen man als Nächstes zu sehen bekommt. Ich halte die ganze Zeit Ausschau nach Hausierern und so. Gruppen herumziehender Juden, die aus dem Wald auftauchen, verstehst du.«
»Die Leute sehen ihre Umgebung mit anderen Augen, wenn ein Mord passiert ist«, sagte McCrink, »sie hören auf, dem, was sie umgibt, zu vertrauen.«
»Die Leute hier haben nichts je vertraut, was sie umgibt«, sagte sie.
McCrink hatte am Fenster seines Hotelzimmers gestanden, als ihr Renault draußen hielt. Margaret hatte sich umgesehen, während sie ausstieg, dann war sie mit gesenktem Kopf schnell über den Parkplatz gegangen, ungeniert den unziemlichen Wünschen ihres Herzens nachgebend. Sie hatte ungeduldig an seine Zimmertür geklopft, und nachdem er sie hereingelassen hatte, war sie sofort zum Bett hinübergegangen, auf dem die Fotos von Pearls Habe ausgebreitet lagen. Die Bilder waren nummeriert und unten mit dem Fundort des abgebildeten Gegenstandes beschriftet. McCrink betrachtete die Aufnahme eines braunen Schuhs mit flachem Absatz. Ein gewisser Charles Ashe hatte einen braunen Schuh am Damolly Cross gefunden.
»Ronnie Whitcroft, eine Freundin, behauptet, dass sie beim Tanz schwarze Sandalen trug«, sagte McCrink.
»Sie hat die braunen Schuhe wohl für den Heimweg nach dem Tanz mitgebracht«, sagte Margaret.
Im Stoppelfeld zwischen der Kreuzung und Weir’s Rock war Pearls blutbeflecktes Taschentuch gefunden worden. McCrink las in Johnstons Notizen: »Das Taschentuch sah aus, als wäre es in einem Becken voller Blut eingeweicht worden. Ihre Bluse und ihr Büstenhalter lagen im Stoppelfeld, zusammen mit den Sandaletten, die sie zum Tanzen getragen hatte. Ihr Rock und ihre Unterwäsche lagen am oberen Ende des Feldes.« Das Rascheln. Seidenunterwäsche.
»Was ist das hier?«
Das letzte Bild war mit »Stoppelfeld« beschriftet. Es zeigte einen einfachen Blecheimer. Margarets Finger folgten den schauerlich zweckmäßigen Umrissen des Eimers.
»Johnstons Idee. Er hat einen Eimer voll
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