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Requiem: Roman (German Edition)

Requiem: Roman (German Edition)

Titel: Requiem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eoin McNamee
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dafür braucht man kein Weltall.«
    Doch Pearl interessierte sich weiterhin für die wissenschaftlichen Hintergründe. Sie erinnerte sich, über Marie Curie gelesen zu haben. Die Entdeckerin von Radium. Wie die Radioaktivität ihr die Knochen zerfressen und sich tief in die Struktur ihrer Zellen vorgearbeitet hatte, die Französin aber trotzdem bis zum Ende weitergearbeitet hatte, ihre Gesichtszüge in kränkliches Licht gebadet.
    So konnte sich Pearl auch sich selbst vorstellen. Wunderschön, dem Untergang geweiht.
    McKnight war eine halbe Stunde zu spät. Ronnie sah immer wieder zur Tür. Sie saßen auf Bänken aus Kunstleder und tranken Kaffee mit aufgeschäumter Milch. Als McKnight hereinkam, setzte er sich zwischen Pearl und Ronnie. Er legte seinen Arm um Ronnie. Pearl roch sein Old Spice. Er hörte nicht auf, Ronnie darauf anzusprechen, wie sie angezogen war, er redete über Rocklängen, den Farbton ihres Lippenstifts, darüber, wie viel Dekolleté sie zeigte, und über die sommersprossige Hautfläche, die zur Begutachtung einlud. Sie strahlte ein sinnliches Selbstbewusstsein aus, das den Männern gefiel.
    Pearl spürte, wie er sein Bein gegen ihres drückte. Er hatte die Angewohnheit, sich einem Zentimeter um Zentimeter zu nähern. Ronnie war keine Hilfe. Sie war zu beschäftigt, McKnights Zigaretten zu rauchen. Pearl fiel auf, dass Ronnie Knutschflecken am Hals hatte, knapp unter dem Kragen ihrer Bluse. Sie sorgten dafür, dass sie verwundet und gefährdet aussah, eine grün und blau geschlagene Prinzessin. Um von McKnight wegzukommen, stand Pearl immer wieder auf und ging zur Wurlitzer-Musikbox hinüber. Elvis Presley gefiel ihr. Sein Sound, die imposanten Akkorde. Sie drückte immer wieder It’s Now or Never. McKnight lächelte sie an.
    Sie sah Robert und Will hereinkommen. Sie setzten sich an den Tisch am Fenster. Sie kannte Robert vom Sehen, doch er war sieben Jahre älter als sie, und sie hatte nie mit ihm geredet. Er war für eine Weile in England gewesen, und sie wusste, dass er mit dem Gesetz in Konflikt geraten war. Durch die Art, wie er sich anzog, fiel er auf. Er trug Röhrenhosen und Wildlederschuhe und kämmte seine Haare zu einer Tolle.
    »Diese McGladderys«, sagte ihre Mutter, »keine Kinderstube, aber immer mittendrin.«
    Robert hatte die Schule geschmissen. Er hatte ein Haus in Drumalane ausgeraubt. Er hing mit anderen bei den Poolhallen und Bars der Stadt herum. So lief es in Kleinstädten. Hatte man sich den Makel des Schulschwänzers und den Ruf des Kriminellen erst einmal eingehandelt, wurde man ihn nie mehr los.
    Will sah, dass sich Pearl wegen McKnight unwohl fühlte und immer wieder aufstand und zur Musikbox hinüberging.
    »Dieser McKnight versucht, sich an die Gamble ranzumachen, lass es dir gesagt sein«, sagte Will, »wieso versuchst du’s nicht? Mal sehen, ob sie dich die Straße raufbegleitet. Wetten, du kriegst sie rum?«
    Das gehörte zu Wills Gerede. Mit Mädchen die Straße raufgehen. Rumkriegen. Titten. Mösen.
    Als Pearl das nächste Mal zur Jukebox hinüberging, war Will vor ihr da.
    »Ich halte nicht viel von deiner Gesellschaft. Der Kerl bedeutet Probleme.«
    »Da sieh einer an«, gab Pearl zurück, so richtig schön schnippisch, sagte sie Ronnie später.
    »Lass deine spitze Zunge, Miss Oberschlau«, sagte Will.
    »Gefällt dir Elvis?«
    »Was geht das dich an?«
    »Vergiss es.«
    Sie betrachteten die Jukebox. Die protzige Mechanik, die die 45er auswählte, sah aus wie ein Roboter der Frühzeit.
    »Ich hab in London als Jukebox-Mechaniker gearbeitet.«
    »Angeber.«
    »Ich schwör’s bei Gott. Ich kann alles reparieren.«
    Sie hörten Elvis zu, beugten sich der Dunkelheit seiner Stimme, den ausgewählten Akkorden und Road-Harmonien. Den in die Länge gezogenen anrüchigen Vokalen.
    »Du und ich, wir könnten zusammen abhauen«, sagte Will, »ab auf den Highway. Wir lassen das hier hinter uns. Eine wie du.«
    Pearl sah ihn an und fragte sich, ob er sie auf den Arm nahm. Sie war den Highway-Träumereien der Amis noch nicht begegnet, ihrem Mythos, den Road-Legenden. Sie sahen zu, wie die Single in der Jukebox an die richtige Stelle fiel und der zittrige Arm hinüberschwenkte.
    »In Alaska haben sie eine Straße, die ist tausend Meilen lang, pfeilgerade. So was hast du noch nicht gesehen. Die haben Züge, die hören gar nicht mehr auf, es braucht einen Tag, bis sie vorbei sind.«
    »Der Einzige, der hier nicht aufhört, bist du«, sagte Pearl.
    Sie war zufrieden mit

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