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Requiem: Roman (German Edition)

Requiem: Roman (German Edition)

Titel: Requiem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eoin McNamee
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Klimmzüge und Kniebeugen, an all die Schinderei, die nötig war, um Masse zuzulegen, das Geräusch der Menge im Earls Court im Ohr. Robert sah sich im Sportslip, spürte die bewundernden Blicke der anderen Wettkämpfer. Er sagte Mervyn, er werde ihn mit nach drüben nehmen, als seinen Trainer, damit er zusammen mit den anderen älteren Weisen des Bodybuilding-Geschäftes in den Kulissen stehen und feierlich blicken könne.
    »Achte darauf, in welche Fitnessstudios zu gehst«, riet ihm Mervyn, »es geht nicht nur darum, Muskeln aufzubauen. Das kann jeder Narr. Es geht um den Tonus. Du musst auf die Fußballen hochgehen und geschmeidig sein. Vergiss das Zeug mit der Schublehre und den ganzen Gewichten. Einen Bodybuilding-Wettkampf gewinnst du hier«, sagte Mervyn und tippte gegen die Mitte seiner Stirn.
    »Die brauchen weder deine großen Brustmuskeln zu sehen noch deinen großen Arsch, den du wie ein Mädchen zusammenkneifst. Die sollen in dein Herz sehen.«
    Mervyn lieh Robert zwanzig Pfund für das Boot von Warrenpoint nach Liverpool. Von Liverpool nach London nahm Robert den Nachtzug. Er schickte eine Postkarte aus London, die Big Ben zeigte und einen roten Linienbus im Vordergrund. Mervyn hatte ihm die Adressen mehrerer Pensionen an der Holloway Road mitgegeben.
    »Es ist wie an der Canal Street!«, schrieb Robert an Mervyn.
    Es roch nach Kanalisation, in den Straßen sah man chassidische Juden, Männer mit Käppchen, und andere mit Turban. Aber es war auch genauso verraucht und gotisch wie an der Canal Street, und man hatte das Gefühl, man wäre in irgendeiner osteuropäischen Metropole voller Türmchen gestrandet. Die Straße ließ einen an Friedhöfe denken und an Dinge, die einen aus dräuendem Nebel bedrohten.
    In der Pension wohnten mehrere Russen. Kleine Männer mit Schnurrbärten. Solchen Menschen war Robert noch nie zuvor begegnet. Finstere Fast-Alkoholiker mit schwerem Akzent. Sie gingen abends weg und kamen spätnachts zurück. Robert hörte ihre Schritte vor seinem Zimmer vorbeigehen, ihren schweren zögerlichen Gang, belastet von slawischen Nöten. Tagsüber blieben sie bei geschlossenen Gardinen in ihren Zimmern.
    Mrs Pieloski, die Hauswirtin, war eine kleine dünne Frau, die Embassy Red rauchte. In einer Vase in der Küche lagen Zigaretten-Coupons und Briefmarken. Sie war in der Marrowbone Lane aufgewachsen und sprach den Kehllaut der Straßenhändler, das ausgespuckte Kauderwelsch der Gegend um Whitechapel im Osten der Stadt.
    »Diese Russkies führen nichts Gutes im Schilde. Sie und ihre beschissene Bombe. Alles Spione, würd ich mal sagen.«
    Robert fing an, gegen Trinkgeld als Bedienungshilfe in einem Restaurant zu arbeiten. Er konnte sich kaum die Miete leisten. Wie alle Neuankömmlinge war er für die Sensationen der Großstadt empfänglich, die Anonymität, die einen zermalmte. Wenn er Geld hatte, fuhr er mit der U-Bahn. Er liebte es, unter der Stadt zu sein, die freigelegten Leitungen und das Mauerwerk zu sehen und sich vorzukommen wie einer der Werktätigen der Stadt. Es gefiel ihm, wenn die Waggons an Geschwindigkeit zulegten und durch die Dunkelheit schwankten, wenn blaue Blitze von den Leitungen hochsprangen, als seien unsichtbare Kräfte am Werk.
    Robert arbeitete hart daran, so zu klingen, als gehörte er dazu. Er nahm den Straßendialekt der Griechen an. Er fing an, über Spanner, Nutten, Schwuchteln und Zuhälter zu reden.
    Die Londoner Zeitungen waren voller Berichte über Spione. George Blake. Der Spionagefall um Gordon Lonsdale. Robert stellte sich vor, Undercover in Soho zu sein, er spürte, die Nacht, die ihn umgab, war bevölkert von Verschwörern, verstohlenen Gestalten mit osteuropäischen Akzenten.
    Robert bekam einen Job als Kellner in einem Restaurant an der Berwick Street. Der Besitzer des Lokals war Franzose. Hinter der Kasse hatte er ein Anschlagbrett, auf das Küchenzettel geheftet waren, jeder einzelne trug den Lippenstift-Abdruck einer Frau und darunter eine Unterschrift.
    Der Besitzer brachte die Mädchen dazu, für ihn einen Abdruck ihrer Lippen auf die Zettel zu machen, dann bezahlte er ihnen einen Drink. Zwischen den Schichten stand Robert in der Hintertür und schnappte frische Luft. Die Gasse hinter dem Restaurant wurde von Paaren aufgesucht. Man konnte sie kaum erkennen in der Dunkelheit, Männer und Frauen, die sich im Schatten miteinander abmühten. Am Morgen lagen benutzte Kondome auf dem Boden.
    Das Restaurant war beliebt bei unbedeutenden Leuten aus dem

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