Requiem: Roman (German Edition)
gerade eben zu Ende, die Zeiten, bei denen es immer nur um den Nutzen ging, die freudlosen Nachkriegsjahre lagen hinter ihnen. Pearl arbeitete an einer verspiegelten Theke mit Leuchtstofflampen darüber. Sie verkaufte Produkte von Rimmel und Givenchy. Vorboten der Jahre, die kommen würden, der Freizügigkeit, die sich abzeichnete.
Die Ladies kamen zu ihr. Die Ehefrauen und Töchter der Kaufmannsfamilien der Stadt. Sie hatten etwas Verwüstetes an sich, die Ausstrahlung von Glück, das zur Neige geht. Pearl verwendete die angeheirateten Namen, wenn sie Bestellungen notierte. Die Initialen ihrer Ehemänner waren in den Namen enthalten. Mrs J. A. Graham. Mrs D. B. Stapleton. Das gab den Namen großstädtisches Gewicht, fand Pearl. Es klang, als würden sie am oberen Ende einer Marmortreppe ausgesprochen, bevor man schwungvoll in die glitzernde Nacht hinabrauschte. Pearl sehnte sich danach, wie sie zu sein. Sie stellte sich vor, vor dem Orchid Blue zu stehen und einen Hut mit Schleier und lange Handschuhe zu tragen. Sie wünschte sich genau das Aussehen dieser Frauen. Den Anschein, von melancholischer Bürde niedergedrückt zu sein.
Die Verkaufstheke der Kosmetikabteilung ging auf die Hill Street hinaus. Abends lehnte Pearl an dieser Theke und schaute auf die dunkel werdende Straße hinaus, über die Regengarben geweht wurden. Der Verkehr war spärlich. Fußgänger gingen schnell. Es galt, schwerwiegende Dinge in ihrem Innern abzuwägen, und diese Tageszeit war dafür geeignet, wie sie fand. Pearl, dem Gefühl ausgesetzt, ihr Leben bewege sich am Abgrund. Als laufe es ohne sie ab.
Die Kundinnen nahmen Pearl kaum wahr. Sie hielt Handspiegel für sie, damit sie den Lippenstift ausprobieren konnten. Sie reichte ihnen Papiertücher, damit sie sich das Überschüssige abwischen, ihre Lippen darauf zusammenpressen und einen Abdruck zurücklassen konnten. Pearl fragte sich, ob man sie aufgrund des Abdruckes auf dem Papier identifizieren könnte, indem man Windungen und Linien prüfte, wie es Polizeibeamte bei Fingerabdrücken taten.
»In dieser Stadt gibt es Männer, die würden dir das ganze Gesicht wegreißen und die Lippen sowieso«, sagte Ronnie, »und die Fingernägel sind auch nie ganz sauber.«
Später hieß es, dass Pearl bei den Ladies beliebt gewesen sei. Sie sei offen und ehrlich gewesen. Pearl erzählte Ronnie, dass sie gerne wie eine der verheirateten Frauen wäre. Sie erzählte Ronnie, dass es ihr gefalle, wie sie die Initialen ihrer Männer als Teil ihres Namens verwendeten. Mrs D. G. Waring. Ronnie hatte als Kellnerin im Golf Club angefangen.
»So denkst du also«, sagte Ronnie, »du wärst also gern mit den Ehemännern zusammen. Die haben ihre Hände überall, wenn sie glauben, dass niemand hinschaut. Mr A. D. Fummler. Mr X. B. Arschgrapscher.«
Das hielt Ronnie nicht davon ab, mit einem der Clubmitglieder in seinem Auto rumzumachen, einem Bankangestellten namens McKnight mit Haus an der Mall. An den Wochenenden bekam Pearl Ronnie kaum mehr zu sehen, außer im Wagen des Bankangestellten.
»Er hat immer einen Pariser in seinem Geldbeutel«, sagte Ronnie, »er hat ihn mir gezeigt. ›Immer bereit, lautet mein Motto‹, sagt er. Meinetwegen kann er so bereit sein, wie er will. Wenn er so ein Mädchen will, soll er zur Fabrik. Mit so einem will ich nix zu tun haben. Der kann bei mir nicht landen.«
Pearl ging davon aus, dass Ronnie angefangen hatte, es mit Mr McKnight zu machen. Die Art, wie McKnight sie von oben bis unten taxierte, machte sie nervös. Er hatte einen Schnurrbart und trug Anzüge von Burton oder C& A. Er war gerissen und raffiniert. Ronnie wollte sich nach der Arbeit im Satellite Café mit ihm treffen, und schaffte es, dass Pearl sie begleitete.
»Er kommt immer zu spät«, sagte Ronnie, »ich hab keine Lust, allein dort zu hocken und mir einen Kopf zu machen, während ich auf so einen warte.«
Im Satellite Café an der Kilmorey Street bekam man Fish and Chips. An die Giebelwand war das Bild eines Satelliten gemalt, ein Sputnik. Ronnie hielt das für unheilvoll. Pearl dagegen interessierte sich dafür; sie hatte Artikel über Weltraumexpeditionen gelesen. Sojus-Raketen, die in Sibirien starteten. Ihr gefiel das bedrohliche, aeronautische Aussehen der Rakete, die ihre Lasten tief ins All trug. Sie dachte, wie alleine man sich fühlen müsse dort draußen hinter dem Asteroidengürtel, im Spiralnebel. Als sie das erwähnte, lachte Ronnie nur.
»Allein sein kann man auch hier unten prima,
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