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Requiem: Roman (German Edition)

Requiem: Roman (German Edition)

Titel: Requiem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eoin McNamee
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Patricia und die Nachforschungen waren nicht chronologisch eingeordnet. Ausschnitte aus Zeitungen waren zerrissen und voller Flecken. Ganze Aspekte der Untersuchung waren geschwärzt worden. Seiten fehlten. Namen waren wahllos durchgestrichen. McCrink blätterte zwischen dem Mord und der Gerichtsverhandlung hin und her. Der Text schien voller Anspielungen und versteckter Bedeutungen. Es gab Berichte von Doris Currans Hausarzt (»äußerst erschöpft«) und scheinbar wahllos ausgewählte Augenzeugenberichte. »Patricia wurde gesehen, wie sie mehrmals von einem Mann mit Narbe bedrängt wurde. Sie schien verängstigt.« Eine Notiz von Capstick, dem Beamten, der die Untersuchung geleitet hatte, hielt fest, dass er den »der Selbstbefriedigung« beschuldigten Mann »erwischte« bevor dieser gestand. Am Rand waren mit Kugelschreiber unleserliche Notizen hinzugefügt worden. McCrink ertappte sich dabei, dass er die Lippen bewegte, während er las. Eine düstere Bürorezitation.
    Im hinteren Teil der Akten fand McCrink den Kohledurchschlag der Anweisung, Doris Curran in die Nervenheilanstalt in Holywell einzuliefern. Es gab Zeitungsausschnitte zu Iain Hay Gordons Verurteilung für den Mord an Patricia Curran. Das Ungesagte am Rand der Seiten.
    Danach waren die Berichte karg und sauber abgetippt. Als weiche man zurück, als sei die Kraft erloschen. Die Ambition Richter Currans, Privy Council, Kronrat zu werden, wurde erwähnt. Dass er bei der Priesterweihe seines Sohnes in Rom gewesen war, wurde mit Erstaunen vermerkt.
    McCrink fiel auf, dass der Name des Wahlagenten Ferguson seltener erwähnt wurde, als der Mord an Patricia Curran zum Thema wurde. Zuletzt fehlte er ganz. McCrink fing an, sich zu fragen, ob Ferguson der Verfasser des Berichtes war. Ob er entschieden hatte, sich aus den Akten zu löschen. Sein Verschwinden hatte vorsichtig stattgefunden. Eine ausgeprägte Neigung, sich im Hintergrund zu halten.
    *
    An jenem Montag, auf den McGladderys erste Anhörung festgesetzt war, rief Speers McCrink an, um ihn auf dem Laufenden zu halten. Er hatte die Ereignisse in der Tanzhalle zusammengefügt. McGladdery und Copeland waren gemeinsam aufgetaucht. Sie hatten tagsüber in Newry getrunken, waren aber nach Hause zurückgekehrt, um sich umzuziehen.
    »Sie haben getrunken«, sagte Speers, »waren aber nicht besoffen.«
    »Sind also nicht unangenehm aufgefallen.«
    »Und trotzdem ist McGladdery jedem auf die Nerven gegangen, wie alle bestätigen.«
    »Ist kein Verbrechen, sich wie ein Klugscheißer aufzuführen.«
    »Er hat mit der Verstorbenen getanzt. Mehr als ein Mal, laut Zeugenaussagen.«
    »Er sagt, er hat zwei oder drei Mal mit ihr getanzt.«
    »Das sagt doch etwas über Pearl. Man tanzt nicht mit einem, der einem nicht gefällt.«
    »Das stimmt.«
    Am nächsten Tag erhielt er einen weiteren Anruf von Speers. Er fuhr nach Newry hinunter. Speers hatte vom Pathologen den Bericht erhalten. Die Verletzungen auf Pearls Körper passten zur Form einer sechskantigen Feile, wie sie Schuhmacher benützen.
    »Man hat McGladdery gesehen, wie er am Tag vor dem Mord bei Woolworth eine solche Feile gekauft hat«, sagte Speers, »jetzt haben wir was.«
    »Das reicht noch nicht. McGladdery hat eine Schuhmacherfeile gekauft. Das Mädchen ist mit einer ähnlichen Waffe erstochen worden. Das ergibt noch keine direkte Verbindung, es sei denn, wir finden die Waffe und können sie mit McGladdery in Verbindung bringen.«
    »Das reicht. Die Kratzer, die er in seinem Gesicht hatte. Die Geschworenen lieben ein zerkratztes Gesicht. Ihnen gefällt die Vorstellung eines Opfers, das sich wehrt. Sie können sich die Szene ausmalen. Eine beherzte Verteidigung. Die Schreie des Opfers, die leiser werden. Und am Schluss ist nur noch der Atem des Killers zu hören.«
    McCrink stellte sich die Szene vor. Der Mörder, der auf die Leiche, zusammengekrümmt, nicht länger ein Mensch, hinabblickte. Er konnte sich denken, wie die Geschworenen darauf reagierten.
    Sie fuhren noch einmal zu McGladderys Haus, um nach der Waffe zu suchen. Die Erkenntnis, dass die Wunden von einer Schusterfeile verursacht worden waren, machte das Verfahren mit einem Mal noch eindringlicher. Die Feile war ein einfacher Handwerksgegenstand, der altmodische Werte heraufbeschwor. Etwas, das man sich auf dem Regal einer Werkstatt vorstellen konnte, gegen den Rost mit Öl behandelt. Etwas, das zu den letzten Dingen gehörte, die sorgfältig hergestellt worden waren, für die Ewigkeit. Man

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