Requiem: Roman (German Edition)
Verkäuferin. Soll Harry Allen den perversen Mörder doch in die Finger kriegen. Sieht fast so aus, als hättest du das große Los gezogen, McCrink. Nach Nordirland versetzt, und schon fällt dir das Richtige in den Schoß. Ein Fall Elizabeth Short, mit allem, was dazugehört, und dazu von nationalem Interesse. Die Jungs in London sind ganz heiß drauf. Hilft ihnen bei ihrem Feldzug für die Todesstrafe.«
McCrink ließ Barrett stehen, der sich dem Mann neben ihm zuwandte: »Eddie McCrink hat es nicht geschafft, den Mörder der Nackten zu erwischen. Und jetzt will er unsere Hilfe, um dessen Cousin vom Land zu fassen.«
*
Am nächsten Tag fuhr McCrink in die Nervenheilanstalt in Holywell. Das Grundstück der Anstalt war gepflegt, die harten Linien des roten Backsteingebäudes durch Buschwerk aufgelockert. Patienten, die keine besondere Aufsicht nötig hatten, kümmerten sich um die Blumenbeete. Man konnte den Eindruck eines freundlichen und wohlgeordneten Ortes bekommen. Korridore, die kein Ende nahmen. Die Schwestern trugen altmodische gestärkte Uniformen und Hauben, ihr Habit erinnerte an Nonnen aus dem Mittelalter, Heilsbringer, verhüllte Bettelmönche.
McCrink war mit einem Aufseher namens Malcolm Hume verabredet. Hume war ein kleiner Mann mit einem exakt gestutzten Bart. Er trug eine Tweedjacke mit Lederflicken auf den Ellbogen sowie Ledersandalen. Er war genau das, was man von jemandem erwartete, der mit psychisch Kranken arbeitete. Unkonventionell. Jemand, der sich auf den unsicheren Boden des Ichs gewagt hatte und nicht unbeeindruckt zurückgekehrt war.
Der Aufseher bestätigte, dass Iain Hay Gordon im vergangenen Dezember entlassen worden war.
»Wenn man mich fragt, hat Gordon nie unter irgendeinem psychischen Defekt gelitten. Das habe ich schon damals gesagt, als man ihn einlieferte. Und unter diesem Aspekt hatte er hier in dieser Anstalt nichts verloren.«
»Trotzdem wurde er wegen Unzurechnungsfähigkeit für unschuldig erklärt.«
»Das liegt außerhalb meiner Kompetenz, Mr McCrink.«
Hume ließ sich auf seinem Stuhl zurücksinken und schlug die Beine übereinander. McCrink kam sich vor, als werde er beobachtet, als werde er professionell unter die Lupe genommen. Hume suchte nach Ticks und Krämpfen, winzigen Nervenfehlern.
»Wissen Sie, was aus ihm geworden ist?«
»Man hat ihm geraten, nach Schottland zurückzukehren und einen neuen Namen anzunehmen. Ich glaube, man hat in einem Verlag eine Arbeit für ihn gefunden. Man hat uns aber keine neue Adresse gegeben.«
McCrink fragte sich, weshalb Gordon dazu aufgefordert worden war, seinen Namen zu ändern, und wer diese Anweisung gegeben hatte. Unter praktischen Gesichtspunkten erschien dieses Täuschungsmanöver unnötig. Es spielte keine Rolle, ob jemand Gordon erkannte und mit dem Fall in Zusammenhang brachte. Die Verwendung eines neuen Namens schien andere Gründe und einen anderen Zweck zu haben. Es fügte dieser an düsteren Details reichen Geschichte ein weiteres Ornament hinzu. »Ich würde mich gerne mit Doris Curran unterhalten«, sagte McCrink.
»Mrs Curran steht unter schweren Medikamenten. Das sorgt dafür, dass sie ausgeglichen ist, führt aber auch dazu, dass sich ihre Gedanken verlieren.«
»Ich verstehe.«
Hume begleitete McCrink zur Station mit den Langzeitpatienten im hinteren Teil der Anstalt. Die Atmosphäre wurde gedämpfter, je weiter sie in die Tiefen des Gebäudes vordrangen. Er sah niemanden mehr in gewöhnlicher Kleidung. Die Leute trugen Anstaltskleidung und gingen wie auf Watte über die klinisch sauberen Fußböden. Das Auf- und Zuschließen der Türen geschah in aller Stille. Der Psychiater wurde von anderen Angestellten mit ernsthaftem Nicken begrüßt, die Aura der innersten Sphäre anerkannt. Die Außenwelt existierte nicht länger. Gelegentlich gab ein Fenster die Sicht frei in den Garten draußen, und der flüchtige Anblick des Grüns schien künstlich arrangiert, um die Gedanken nach innen zu richten.
»Manchmal frage ich mich, ob ein medizinisches Umfeld dagegen arbeitet, dass unsere Patienten gesund werden«, sagte Hume, »oder ob es ihnen nicht besser ginge in einer Umgebung, die ihnen vertraut ist. Andererseits müsste Holywell Mrs Curran gewissermaßen vertraut sein.«
»Wieso das denn?«
»So sonderbar es auch erscheinen mag, aber ihr Vater war Leiter der Anstalt für psychisch kranke Straftäter in Broadmoor. Dort ist sie im Haus für den Leiter aufgewachsen.«
Das war eines jener Details, die
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