Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Requiem: Roman (German Edition)

Requiem: Roman (German Edition)

Titel: Requiem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eoin McNamee
Vom Netzwerk:
bekam den Eindruck, ein ganzes Wertesystem befinde sich in Gefahr.
    Dieses Mal durchsuchten sie das Haus ohne jede Zurückhaltung. Bodendielen wurden herausgerissen, Hohlräume in Wänden aufgestemmt. Zuletzt kroch McCrink mit einer Taschenlampe in der Hand über den Dachboden. Hier war etwas Tiefergreifendes als Polizeiarbeit im Gange. Der Garten wurde umgegraben. Die Wasserzisterne geleert und durchsucht. Polizisten in blauen Overalls nahmen den Schuppen hinter dem Haus auseinander und öffneten sein Fundament.
    In der Stadt sprach sich herum, dass nach der Mordwaffe gesucht wurde, und die Leute fingen an, mit landwirtschaftlichen Arbeitsgeräten und Metallstücken auf der Wache am Corry Square aufzutauchen, die sie im Freien gefunden hatten. Verrostete Türangeln und alte Schraubenschlüssel, die jahrelang herumgelegen hatten und den Charakter eines Beweismittels angenommen hatten. Zerkratzt, verrostet. Die Leute wollten Teil der Geschichte und der sich zusammenballenden Energie sein.
    Der Kanal und das Becken wurden mit Netzen durchkämmt. Leute wateten bei Ebbe durch den Schlick des Flusses. McCrink erhielt einen Brief von einem Medium, das behauptete, die Feile würde in der Nähe von Wasser gefunden werden. Die Handschrift des Mediums war kritzelig und nicht einfach zu entschlüsseln. Das Medium erwähnte Hilfestellung aus der Geisterwelt, deutete Schwierigkeiten an, undurchlässige psychische Kanäle.
    Genau wie im Fall von Patricia Curran wurde die Mordwaffe nie gefunden. Im Fall Curran hatte der Verurteilte Iain Hay Gordon in seinem widerrufenen Geständnis ausgesagt, er habe vielleicht sein Dienstmesser gebraucht und es danach ins Meer geworfen. McGladdery gab zu, zwei Schusterfeilen gekauft zu haben, genau wie die Polizeibeamtin Margaret McCane aussagte, die ihn bei Woolworth gesehen hatte.
    McCrink war mit den Beweismitteln gegen McGladdery immer noch nicht zufrieden.
    »Ruf ihn in den Zeugenstand, und der Staatsanwalt nimmt ihn auseinander«, sagte Speers.
    »Es gibt keine Garantie dafür, dass die Verteidigung McGladdery in den Zeugenstand beruft«, sagte McCrink, »und wenn das nicht passiert, haben wir nichts als Indizienbeweise.«
    »Wir müssen mit dem arbeiten, was wir haben«, sagte Speers, »Kennedy hat morgen früh die Presse für einen öffentlichen Appell einberufen.«
    »Wer redet mit ihnen?«
    »Sie und ich.«
    »Wir dürfen McGladderys Anzug nicht erwähnen. Damit liefern wir ihn aus.«
    »Wenn wir bloß seine Klamotten von jener Nacht hätten.«
    »Dann könnte es hinhauen.«
    »Ich find den Anzug. Ich mach den schlüpfrigen Scheißkerl fertig«, sagte Johnston, »ich sorg dafür, dass er den Strick um den Hals kriegt.«
    »Sogar dann, wenn wir nicht genug Beweismittel haben?«
    »Ich bring alle Kriminellen, die hier landen, an den Galgen, Sir, so sieht das aus.«
    McCrink traf sich mit Margaret im Ballyedmont Castle, einem schlossähnlichen Hotel aus Sandstein mit Türmen und Zinnen an der Nordseite des Meeresarmes. Bevor es dunkel wurde, überredete sie ihn zu einem Spaziergang durch den Wald zwischen dem Hotel und dem Ufer. Im Gehölz hinter dem Hotelgebäude gab es baufällige Bootshäuser und ausgetrocknete Brunnen, aus denen Bäume wuchsen. Sie stolperten über zerbrochene Steinfiguren und landeten auf einem überwachsenen Spielplatz.
    »Was zum Teufel haben die Leute hier bloß mit Märchenschlössern? Alles hat Türmchen und Zinnen!«
    »Es ist die Grausamkeit in den Märchen, die die Leute anzieht. Spieglein, Spieglein an der Wand!«
    »Die pfeifen auf das Gerichtsverfahren und knüpfen McGladdery am nächstbesten Baum auf, wenn sie die Chance dazu kriegen.«
    »Äpfel, die tödlich vergiften; Finger, die sich an Spindeln stechen; Augen, die von Dornen herausgerissen werden. Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter. Das sind die Märchen, die denen hier gefallen. Ich bin übrigens der Kampagne gegen die Todesstrafe beigetreten.«
    »Ich hab mich schon gefragt, wie lange das wohl dauert.«
    »Halt mir bloß keine Vorträge.«
    Sie gingen in den Speisesaal. Die Wände waren mit Eiche verkleidet, in den Ecken des Raumes standen Rüstungen, von der Decke hingen Kronleuchter. In einem gewaltigen Kamin brannte ein Holzfeuer. Sie waren die Einzigen in dem Raum. Eine Frau in einem schwarzen Kittel mit weißer Schürze bediente sie. Sie blieben bis weit in die Nacht sitzen, Margaret sah blass aus und erschöpft, überwältigt von künstlicher feudaler Schwermut.
    *
    Auf der Titelseite

Weitere Kostenlose Bücher