Requiem: Roman (German Edition)
spürte, wie die Psychose das Zimmer überflutete und die fehlgeleitete Persönlichkeit sich breitmachte. Wer war sie? Amelia Earhart?
»Wer sind Sie?«, fragte er.
Sie sah ihn verschmitzt an und winkte.
»Die Antwort liegt im Blut«, sagte sie, »die Antwort liegt immer im Blut.«
Dreizehn
I n den Wintermonaten reiste Richter Curran jede dritte Woche auf die Isle of Man, wo das Glücksspiel erlaubt war. Er flog von Aldergrove. Die DC-10 der British Airways machte den Eindruck, als sei eine Evakuierung im Gange und man verlasse mit der letzten Maschine eine eingeschlossene Stadt. Der Klang der Motoren schwoll an und ab, sie trafen auf ein Tiefdruckgebiet, das von Grönland herunterfegte, und am Flughafen Douglas wehten Regenböen über die Lichter der Landepiste.
Frühabends spielte Lance Curran jeweils zuerst in den Colony Rooms in Douglas, später zog er dann weiter ins Vogue Casino an den Roulettetisch.
Nach McGladderys Anklageerhebung Ende Februar begleitete Ferguson Richter Curran. Er war vorher noch nie auf der Insel gewesen, aber da er als junger Mann in Nutts Corner und Tyrella Motorrad gefahren war, wollte er die Rennstrecke auf der Isle of Man sehen. Alles, was er sich immer zu wissen gewünscht hatte, fand sich dort, Geschwindigkeit und innere Erhebung. Ray Amm und Mike Hailwood, die vor der Ballaugh Brücke hinunterschalteten, hinter die Verschalung aus Plexiglas geduckt. 1955 war Ray Amm in Imola von seiner MV-Augusta geschleudert und getötet worden. Hailwood sollte im Regen außerhalb von Birmingham ums Leben kommen. Ferguson erinnerte sich daran, wie er Fotos von ihnen auf dem Siegerpodest ausgeschnitten und in ein Buch geklebt hatte. Düstere, mit Blumen bekränzte Männer.
Ferguson schloss sich Richter Curran auf einen Drink in der Bar des Grand Hotels an. Andere Vertreter der Anwaltskammer waren ebenfalls anwesend. Anwälte, die Ferguson zunickten, als er sich seinen Weg durch die Tische bahnte.
Er bemerkte Isaac Hanna, einen Kronanwalt aus Antrim- Town. Ferguson hatte gehört, dass Hanna vor Kurzem Land gespendet hatte, auf dem eine fundamentalistische Kapelle errichtet wurde.
»Hast du gehört, dass Iain Hay Gordon freigelassen wurde? Der Bock, der Currans Tochter umgebracht hat?«
»Nein. Wann ist das passiert?«
»Du bist eben überhaupt nicht auf dem Laufenden, Ferguson. Der Mörder ist vor achtzehn Monaten freigekommen und nach Schottland zurückgeschickt worden. Man hat ihm geraten, er soll den Schnabel halten, falls er wisse, was gut für ihn sei.«
»Mit welcher Begründung?«
»Mit der Begründung, dass er Patricia Curran wahrscheinlich gar nicht umgebracht hat. Hätte erwartet, dass Curran dir das erzählt hat.«
»Weiß er Bescheid?«
»Was denkst du denn? Natürlich. Der Richter weiß genau, was vor sich geht, da kann er seine Nase noch so hoch tragen. Er erzählt dir nicht alles, Ferguson!«
»Warum sollte er das, Isaac?«
»Brian Faulkner hat Gordons Freilassung angeordnet. Vielleicht hat Curran ihm das eingeblasen. Vielleicht weiß Richter Curran ganz genau, wer seine Tochter umgebracht hat. Wie auch immer. Schnee von gestern. Im Vordergrund steht ohnehin viel eher die Frage, ob der Richter deswegen nicht vom Fall McGladdery abgezogen werden müsste. Darüber wird in der Anwaltskammer geredet.«
»Der Richter macht das mit sicher selber aus.«
»Das ist eine Tatsache. Hoffen wir mal, er nimmt dich mit, wenn er ins House of Lords einzieht.«
»Wieso sollte er?«
»Weil die Position des Lord Justice of Appeal frei wird. Hat er dir das auch nicht erzählt? Unser Lance ist aufgeblasen genug, um sich selbst im guten alten Hermelinpelz zu gefallen, meinst du nicht auch, Ferguson? So ein Pelzkragen würde doch ganz gut um den Hals dieses ausgekochten alten Vogels passen!«
Ferguson entdeckte Curran an der Bar und ging auf ihn zu. Curran hatte ihm von der Möglichkeit eines Sitzes im House of Lords erzählt, aber von der Freilassung von Iain Hay Gordon hatte er ihm nichts gesagt.
Der Barmann hatte zwei Black & White-Whiskeys auf den Tresen gestellt und einen Sodaspender daneben.
»Das hat Patricia immer gern gemacht, erinnern Sie sich daran, Ferguson?«
Es war das erste Mal seit dem Tod seiner Tochter, dass ihr Name zwischen ihnen ausgesprochen wurde.
Ferguson erinnerte sich, dass Patricia als Kind immer gefragt hatte, ob sie ihre Gläser mit Soda füllen könne. Er erinnerte sich auch an den konzentrierten Ausdruck auf ihrem Gesicht, wenn sie den Spender aufnahm,
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