Requiem
konterte die OB-Mitarbeiterin. »Stimmt es, dass Sie einen unserer jüdischen Mitbürger der Morde verdächtigen? Wissen Sie eigentlich, was für eine antisemitische Stimmung Sie damit schüren?«
Über diesen Aspekt hatten Ekki und Frank noch gar nicht nachgedacht. »Es dürfte schwer werden, das der Presse zu verheimlichen«, setzte sie nach.
»Der Oberstaatsanwalt hat schon zweimal angerufen«, meldete der besorgte Sekretär hinter seinem Computer.
»Und denk auch daran, die Mitarbeiter im Orchesterbüro überprüfen zu lassen«, kam es von Beaufort aus dem Büro.
Der gestresste Justizsprecher raufte sich die Haare, öffnete enerviert den Mund, sagte dann aber doch nichts, machte eine wegwerfende Handbewegung und hastete grußlos hinaus.
*
»Milder Jesus, wollst erwägen, dass du kamest meinetwegen. Schleudre mir nicht Fluch entgegen.«
Federnd und kraftvoll lief er den Marienberg hinauf. Es war bereits seine dritte Runde durch den Volkspark, aber noch immer spürte er die Kraft in sich. Er keuchte nicht, sondern atmete kontrolliert ein, hielt den Atem an und stieß ihn wieder aus im Takt seiner regelmäßigen Schritte. In seinem Kopf dröhnten Musik und Worte des Requiems , aber er zwang dem Werk seinen eigenen Rhythmus auf, seine eigene Interpretation: zwei Silben beim Einatmen, Pause, zwei Silben beim Ausatmen. Verdis Totenmesse war sein virtueller Rosenkranz geworden. Als sie ihm die Partitur auf den Tisch legten, wusste er, dass das ein Zeichen war. Der Tag der Rache war endlich gekommen.
»Bist mich suchend müd gegangen, mir zum Heil am Kreuz gehangen. Mög dies Mühn zum Ziel gelangen.«
Am Hügelkamm angekommen, lief er in einem weiten Bogen abwärts auf den Ententeich zu. Er war in Hochstimmung. Sein Coup war gelungen. Es war so leicht gewesen, die Autoschlüssel aus Rosenbergs Jacke zu nehmen. Dann hatte er nur noch in einem unbeobachteten Moment das Werkzeug aus dem Kofferraum holen, das Betäubungsmittel hineinlegen und den Schlüssel wieder zurückstecken müssen. Ein wenig tat der Posaunist ihm leid, er war immer nett zu ihm gewesen. Aber schließlich gehörte er dem Volk der Jesusmörder an. Und nur wenn er der Polizei einen Verdächtigen lieferte, konnte er den Plan weiter ausführen. Alle sollten sehen, dass die Mörder ihre gerechte Strafe erhielten. Er musste die nächsten Urteile bald vollstrecken.
»Richter Du gerechter Rache, Nachsicht üb in meiner Sache, eh ich zum Gericht erwache.«
Lux aeterna luceat eis
Das ewige Licht leuchte ihnen
14. Kapitel: Freitag, 3. Mai
Die Geschwindigkeit, mit der Annes Auto in der heillos verstopften Regensburger Straße vorankam, als Schritttempo zu bezeichnen, wäre ein Euphemismus gewesen. Denn Schritttempo war das, womit sich die vielen schwarz-rot gekleideten Fußgänger fortbewegten, die sie dauernd überholten und die fröhlich ausschreitend hinter der Kreuzung am Horizont verschwanden. Der zitronengelbe Golf bewegte sich dagegen nur zentimeterweise vorwärts, ein Bodengewinn von drei Metern innerhalb einer Ampelschaltung durfte getrost als Riesenfortschritt gefeiert werden.
Beaufort maulte: »Stell doch den Wagen einfach ab und wir gehen zu Fuß weiter.«
»Es gibt hier weit und breit keinen freien Parkplatz.«
»Warum haben wir überhaupt das Auto genommen?«
»Weil ich dich kenne. Wenn du dichtgedrängt mit angetrunkenen Fans hättest U-Bahn fahren müssen, wärst du mir bei der ersten Station gleich wieder ausgebüxt. Außerdem darf ich den Presseparkplatz vor der Zeppelintribüne benutzen. Wenn wir erst mal von dieser Straße hier runter sind, geht es schneller.«
»Wir werden noch zu spät ins Stadion kommen.«
»Spricht da mehr Sorge oder Hoffnung aus dir?« Anne wechselte die Fahrspur und kam zwei volle Autolängen voran.
»Wenn ich mir schon mal ein Fußballspiel ansehe, will ich auch nichts verpassen.«
»Wir werden rechtzeitig da sein«, versprach sie, »ich mache den Weg schließlich nicht das erste Mal.«
»Gegen wen spielt der Club gleich noch mal?«
Anne schüttelte den Kopf. »Sonst kannst du dir doch auch alles merken. Gegen Cottbus. Du bekommst heute Abstiegskampf pur zu sehen. Der Tabellen-Siebzehnte gegen den Sechzehnten. Wenn die Clubberer heute die drei Punkte liegen lassen, sind sie so gut wie abgestiegen.«
»Wieso? Hast du mir nicht gesagt, es sind noch fünf Spieltage bis Saisonende? Da hat der Verein doch noch fünf Chancen.«
»Aber der FCN hat von allen Abstiegskandidaten das schwerste
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