Requiem
wortlos nahm und auf einen Zug hinunterkippte.
»Woher hattet ihr Davids Fingerabdrücke?«, fragte Beaufort einigermaßen wiederhergestellt.
»Er wurde vor Jahren schon mal erkennungsdienstlich behandelt. Und jetzt rate mal wo? Auf einer Antinazikundgebung in Wunsiedel, die etwas aus dem Rahmen lief und mit einigen Festnahmen auf beiden Seiten endete. Aber ohne deinen Tipp wäre die Soko nicht so schnell auf ihn gekommen.«
»Trotzdem müsst ihr euch irren. Das passt alles nicht ins Bild vom Täter. Er hat doch kein wirkliches Trauma, außer vielleicht dem, indirekter Überlebender der Shoa zu sein.« Beaufort berichtete dem ungeduldig werdenden Ertl kurz, was er am Vormittag von Professor van Vlooten erfahren hatte.
»Das ist alles sehr vage, Frank. In der Sonderkommission sitzt doch auch ein Profiler. Und der hat sicher genauere Informationen über die Morde als dein Professor. Im Übrigen halten sich die Beamten an die Fakten. Und die sprechen nun mal eindeutig gegen Rosenberg. Dazu kommt, dass er keine gescheiten Alibis hat und sein Auto auf die Beschreibung des Zeugen passt. Du, ich muss dringend ins Büro des Oberstaatsanwalts.« Ertl erhob sich, und auch Beaufort sprang auf.
»Warte! Was ist, wenn jemand anderer Rosenbergs Schraubenzieher genommen hat? Wo hat er ihn denn aufgehoben?«
»Im Werkzeugkasten in seinem Auto. In dem waren auch die K.o.-Tropfen versteckt.«
»Na, siehst du. Da könnte doch jemand mit ein paar Handgriffen eine falsche Spur gelegt haben. Vielleicht war es sogar der Mörder selbst.«
Ertl legte nachdenklich die Stirn in Falten. Er begann zu zweifeln. »Und warum sollte er das tun?«
»Das ist doch klar: um euch in Sicherheit zu wiegen. Wenn ihr glaubt, ihr hättet den Täter festgenommen, kann er leichter den nächsten Mord begehen. Ihr dürft auf keinen Fall den Polizeischutz für Gerstenberg und Konsorten aufheben, hörst du?«
Beauforts Worte waren mit Verve gesprochen und verfehlten ihre Wirkung nicht. Sie setzten sich wieder, und Ertl dachte über die Einwände seines Freundes nach, dann fiel ihm noch ein Gegenargument ein: »Und woher soll der Mörder wissen, dass wir Rosenberg überhaupt verdächtigen? Du hast mir doch erst am Montag davon erzählt. Nur wir beide und die Soko wissen davon.«
«Was ist denn das für eine Rabulistik? Gleich wirst du mir noch weismachen wollen, dass ich der Mörder bin. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten. Vielleicht hat jemand im Salon Regina unser Gespräch mitangehört. Möglicherweise war einer aus der Soko unvorsichtig und hat etwas weitererzählt, immerhin sollen es ja 80 Mitarbeiter sein. Und hast du etwa vergessen, dass eure Beamten Rosenberg mitten aus der Hauptprobe geholt haben, um ihn zu verhören?«
»Es heißt vernehmen, nicht verhören.«
»Ändert aber nichts daran, dass das ganze Orchester und der komplette Chor mitbekommen haben, dass Rosenberg verdächtigt wird. Wirklich ein sehr intimer Kreis.«
»Verdammt, Frank, du hast recht.«
»Dann lasst ihr David also wieder frei?«
»Das kannst du vergessen. Kein Richter wird bei dieser Fülle belastender Indizien gegen Rosenberg den Haftbefehl wieder aufheben. Auch wenn deine Einwände schwer wiegen, wird niemand das Risiko eingehen und einen mutmaßlichen Serienkiller wieder auf freien Fuß setzen. Du, ich muss jetzt wirklich los. Der Oberstaatsanwalt zerreißt mich sonst in der Luft.« Ertl erhob sich wieder und machte ein paar Schritte Richtung Tür. Beaufort trat ihm in den Weg.
»Aber irgendetwas musst du unternehmen. Du kannst das doch nicht einfach auf sich beruhen lassen.«
»Ich setze mich jetzt gleich beim Oberstaatsanwalt dafür ein, den Polizeischutz für die drei Neonazis zu verlängern. Das müsste sich über seine Drähte irgendwie hinkriegen lassen. Und dann versuche ich, heute Abend noch einen Termin beim Soko-Leiter zu bekommen. Hoffentlich kann ich ihn davon überzeugen, seine eigenen Leute und die kompletten Nürnberger Symphoniker überprüfen zu lassen.
»Plus den Chor und die Solisten.«
»Und wie viele sind das?«
»Das dürften von der musikalischen Seite her etwa 150 Leute sein.«
»Allmächd, was für ein Eiertanz! Das wird mich meine ganze Überzeugungskraft kosten.«
Ertl rauschte durch die Tür seines Büros und stieß im Vorzimmer mit der persönlichen Referentin des Oberbürgermeisters zusammen. »Na, Sie haben mir jetzt grad noch gefehlt«, zischte der Justizsprecher. »Ich habe keine Zeit für Sie.«
»Charmant wie eh und je«,
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