Requiem
jetzt einen Teil der Zeppelintribüne auftauchen. Als er den Kopfbau mit dem Probensaal der Nürnberger Symphoniker passiert hatte, wo das Ufer einen erneuten Knick, diesmal nach links, machte, wollte Beaufort nach der grünen Villa auf der anderen Seeseite Ausschau halten. Doch drei Polizeiautos, eines mit blinkendem Blaulicht, lenkten seinen Blick auf den nahegelegenen Parkplatz. Noch ein Polizeieinsatz am Dutzendteich? Das war aber wirklich ungewöhnlich, dachte Beaufort. Gab es etwa einen neuen Mord? Er marschierte an den grünsilbernen Streifenwagen vorbei, um einen der Beamten am Künstlereingang zu fragen, als die Tür aufging und Rosenberg herauskam. Der Posaunist trug Handschellen, zwei Polizisten führten ihn ab.
»David«, sagte Beaufort überrascht, »was ist denn hier los?«
»Aus dem Weg! Es gibt hier nichts zu sehen und zu sagen«, maßregelte ihn einer der Beamten und zog den Gefangenen weiter.
Rosenberg ließ es geschehen, doch lachte er zynisch auf und drehte sich zu Beaufort um. »Ich soll der Reichsparteitagsmörder sein. Witzig, was?«, rief er mit einer Stimme, die alles andere als belustigt klang. Mehr konnte er nicht sagen, bevor er ziemlich rüde ins Auto geschoben und die Tür hinter ihm zugeklappt wurde. Mit Blaulicht brausten die drei Streifenwagen davon. Hinter den Fenstern im oberen Stockwerk bemerkte Beaufort einige Orchestermusiker, die genauso betroffen dreinsahen wie er selbst.
*
Vor dem Haupteingang des Justizgebäudes sprang Frank Beaufort ungeduldig aus dem Taxi. Zielstrebig eilte er durch die Lobby. Mit den langsamen Fahrstühlen gab er sich gar nicht erst ab, sondern lief die breiten Stufen hinauf in den dritten Stock. Seine schnellen Schritte hallten laut durchs marmorne Treppenhaus, doch oben angekommen wurden sie von dicken Teppichen gedämpft. Ohne auf die von ihm stets so hoch gehaltene Etikette zu achten, riss er schnaufend die Tür auf und stapfte grußlos durchs Vorzimmer. Noch ehe der verdutzte Sekretär seinen Satz »Sie können da jetzt nicht rein« zu Ende gesprochen hatte, war er schon durch die zweite Tür in das Büro seines Freundes gelangt und warf sie knallend hinter sich zu. Ekkehard Ertl, den Telefonhörer am Ohr, schaute wütend auf den ungebetenen Eindringling. Seine Miene hellte sich nur flüchtig auf, dann polterte Beaufort auch schon los. »Kannst du dein Dauergespräch vielleicht mal beenden? Es gibt Wichtigeres zu bereden«, sagte er außer Atem, »Rosenberg ist gerade verhaftet worden. Du musst ihm helfen.«
»Was das für ein Lärm ist? Eine unbedeutende Störung, Herr Oberstaatsanwalt.« Ekki schaute Beaufort streng an und hielt den Finger an die Lippen. »Wie dem auch sei, ich bin sofort bei Ihnen. Ich muss nur schnell noch die Akten … Ganz recht … Überhaupt kein Problem. Ich bin quasi schon unterwegs.« Ekki legte auf und atmete schnaubend aus. »Sag mal, Frank, hast du noch alle Tassen im Schrank? Ich weiß vor lauter Arbeit nicht, wo mir der Kopf steht, und du springst hier herein wie ein Kastenteufel.«
»Hast du nicht gehört, was ich dir gesagt habe? Rosenberg wurde als der Neonazi-Mörder verhaftet«, insistierte Beaufort, ohne Ekkis Worten Beachtung zu schenken. Er stand mitten im Zimmer und schnaufte heftig vor Aufregung und körperlicher Anstrengung.
»Stell dir vor: Das weiß ich längst. Was glaubst du denn, warum hier gerade der Bär tobt? Alles dreht sich um den Musiker.«
»Herrgott, Ekki, ihr werdet doch meinen kleinen Verdacht nicht derart hoch hängen. Hätte ich nur bloß nichts davon erwähnt.« Beaufort schaute seinen Freund verzweifelt an.
»Du, hier geht es nicht mehr nur um einen Verdacht. Es gibt inzwischen Beweise.« Ertl sprach ruhig und ernst.
»Und die wären?«
»Der Schraubenzieher im Auge des Richters gehört Rosenberg. Es sind nur seine Fingerabdrücke drauf und sonst keine. Und in seinem Auto war ein halbleeres Fläschchen K.o.-Tropfen.«
Beaufort fühlte, wie ihm schwindlig wurde. Er musste sich setzen und ließ sich erschöpft auf den Besucherstuhl fallen. Kalter Schweiß stand auf seiner Stirn.
»Frank, alles in Ordnung? Du siehst so blass aus.«
Ekki schaute besorgt auf seinen Freund. Grüner Tee würde hier nichts nützen, Beaufort brauchte etwas Stärkeres. Also trat er an seinen Bücherschrank und zog das Handelsgesetzbuch heraus. Es war eine Buchattrappe, die eine Flasche Kirschwasser und vier Schnapsgläser enthielt. Er schenkte ein Glas voll und reichte es seinem Freund, der es
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