Requiem
Millionen Euro an eine Nürnberger Bank verkauft worden.
»Sag mal, benutzt eigentlich jemand diesen komischen neuen Namen?«, wollte er wissen. »Der ist ja nun auch nicht gerade das Gelbe vom Ei.«
»Der Stadionsprecher – sonst kaum einer. Die Fans eher nicht, und auch wir Journalisten halten uns zurück. Selbst dem Präsidenten rutscht manchmal noch im Interview ein ›Frankenstadion‹ raus«, schmunzelte Anne. »Komm, ich zeig’ dir zuerst unseren Ü-Wagen, bevor wir auf die Pressetribüne gehen.«
Sie zog ihn ausgelassen mit sich. Es machte ihr sichtlich Spaß, Beaufort ihr Reich zu zeigen. Sie führte ihn hinter das VIP-Gebäude zu den Übertragungswagen der verschiedenen Rundfunk- und Fernsehanstalten und stellte ihm das Tontechnikerteam des blauen BR-Busses vor. Dann ging sie mit ihm in den Pressebereich unter der Haupttribüne, wo ein spezieller Sektor mit Sponsorenlogos an der Wand für die Interviews nach dem Spiel ausgewiesen war. Und sie ließ ihn einen Blick in den noch leeren Saal für die Pressekonferenz werfen, der für rund 100 Journalisten bestuhlt war. Trainer, Spieler und Manager würden dort später auf der kleinen Bühne hinter den Tischen Platz nehmen und das Spiel analysieren. Auch hier vor der obligatorischen Reklamewand mit den Club-Förderern drauf. Das war das wichtigste Kriterium für die Berichterstattung der Fotografen und Fernsehkameras. Wo immer jemand interviewt wurde, hatten die Werbepartner nach Möglichkeit mit im Bild zu sein. Anne als Radioreporterin tat sich da leichter, sie durfte auch in einen anderen Stadionbereich. Wenn sie sich das schwarze Leibchen überzog, das ihr am Pressepult zusammen mit der aktuellen Mannschaftsaufstellung ausgehändigt worden war, konnte sie mit ihrem Mikrofon in der Hand den Platz vor den Mannschaftskabinen betreten. Dort würde sie auch heute wieder in der Halbzeitpause und nach dem Spiel die Spieler abfangen und versuchen, ihnen ein paar Worte zu entlocken. Die Interviews wurden direkt im Ü-Wagen mitgeschnitten und sofort an eine Datenbank weitergeleitet, auf die alle ARD-Anstalten Zugriff hatten. So konnte etwa der MDR, der sich für das Kellerduell 1. FC Nürnberg – FC Energie Cottbus ebenso interessierte wie der BR, so schnell wie möglich Reaktionen aufs Spiel senden. Da Frank dieser Bereich verschlossen war, sollte er nach dem Spiel ein wenig die Atmosphäre im Stadion genießen oder ein Bier trinken gehen und dann zum Ü-Wagen kommen, wo Anne noch einen Nachbericht vom Spiel für den Sportfunk sprechen und schneiden musste. Danach wollten sie bei ihr ein wenig feiern – sie hatte einen Mitternachtsimbiss vorbereitet. Ein freies Wochenende lag vor ihnen.
Es wurde Zeit, die Plätze einzunehmen. Die Sitze auf der Pressetribüne unterschieden sich von den anderen im Stadion dadurch, dass sie etwas mehr Platz boten und vor sich schmale Tische hatten, auf denen, je nach Vorliebe des Sportreporters, Laptops standen oder Notizblöcke lagen. Sie setzten sich zu Annes BR-Kollegen aus München, der das Spiel für den Rundfunk in Auszügen kommentierte und dazu zwei Monitore vor sich hatte, mit denen er die Wiederholungen interessanter Geschehnisse vom Foul bis zum Tor verfolgen konnte. Überall wurde Anne von Journalisten, vom Kicker bis zu Premiere , herzlich begrüßt und, sofern sie davon wussten, schulterklopfend zu ihrem neuen Fernsehjob beglückwünscht. Fußballberichterstattung war zu mindestens 90 Prozent eine Männerdomäne. Beaufort zählte nur noch drei weitere Frauen hier, von denen Anne mit Abstand die hübscheste war, fand er. Er überlegte gerade, ob das ein Grund zur Eifersucht sei, als unter lautstarkem Jubel die Mannschaften einliefen und das Spiel zügig angepfiffen wurde.
Das Stadion war etwa zu drei Vierteln gefüllt. Rechterhand in der Südkurve befand sich das kleine Häufchen der Anhänger der Gastmannschaft in Rot und Weiß. Ansonsten dominierten die Farben Schwarz und Rot. Besonders eng und laut ging es in der Nordkurve zu, wo es noch einige Blöcke mit Stehplätzen gab. Dort verschafften sich die teilweise schon gut abgefüllten Hardcore-Fans lautstark klatschend, hüpfend und in einer Tour »Olé, Olé, Olé« singend Gehör – die meisten von ihnen trotz der Kälte mit nacktem Oberkörper.
Beaufort versuchte sich aufs Spiel zu konzentrieren, was gar nicht so einfach war. Denn anders als im Fernsehen wurde nichts erklärt und kommentiert oder per Nahaufnahme ins rechte Bild gesetzt. Hier gab es nur das
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