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Requiem

Requiem

Titel: Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kruse
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Geiselnehmer empfinde, dann täuschen Sie sich.« Beaufort sprach ganz ruhig und bestimmt. »Ja, Karim war gemeingefährlich und wahnsinnig, aber er verdient neben unserem Abscheu auch ein wenig Mitgefühl. Denn er wäre nie zum Täter geworden, wenn er nicht vorher Opfer gewesen wäre. Und ich bin mir ganz sicher, dass er mich nicht umgebracht hätte. Er hat sich selbst gerichtet.«
    »Darf ich Sie daran erinnern, dass meine Männer ihn erschossen haben, als er sie angriff und wie ein Berserker auf sie losging?« Arnold stand angesäuert von seinem Stuhl auf.
    »Genau das war seine Art, den Tod zu suchen«, entgegnete Beaufort matt. »Aber ich will nicht mit Ihnen disputieren. Ich fühle mich wirklich am Ende meiner Kräfte. Deshalb greife ich jetzt Ihren Vorschlag auf und werde versuchen, mich auszuschlafen.« Er erhob sich, und mit ihm Anne und Ekki. »Danke für Ihre Hilfe. Wirklich.« Beaufort streckte die Hand aus, und nach kurzem Zögern schlug Arnold ein.
    »Für heute wollen wir es genug sein lassen. Aber morgen kommen Sie bitte ins Präsidium. Ich brauche noch Ihre ausführliche Zeugenaussage.«
    »Solange es nicht am Abend ist. Denn da geben die Symphoniker Verdis Requiem in der Meistersingerhalle. Sie werden verstehen, dass ich da hin muss. Nach all dem, was hier geschehen ist, bin ich das mir selbst und David Rosenberg schuldig.«
    »Kommen Sie einfach morgen Mittag. Dann haben wir genügend Zeit«, lenkte Arnold ein. Auch Ertl und Kamlin verabschiedeten sich von dem Soko-Leiter. Beaufort gab seine Decke zurück, und die drei gingen durch die Tür hinaus ins Freie. Es war fünf Uhr morgens, ein neuer Tag dämmerte herauf. Der Dutzendteich schimmerte silbern, die Vögel zwitscherten ihr Morgenkonzert, und eine milde Frühlingsbrise wehte sie an, während sie auf den Parkplatz hinuntergingen.
    »Warum haben Sie eigentlich etwas aus dem Requiem gesungen, als Karim mit dem Messer auf Sie zukam?«, rief der in die Tür getretene Arnold ihnen nach.
    »Das war Intuition.« Beaufort blieb stehen und drehte sich zu ihm um. »Karim war Musiker und religiöser Fanatiker. Und es war dieses Stück, das er seit Wochen probte. Wenn ihn etwas erreichen konnte, dann diese einmalige Verbindung aus Tonkunst und Religion. Und Libera me , also Rette mich , schien mir in diesem Moment die geeignetste Aussage zu sein.« Beaufort dachte an die brenzlige Situation im Verlies zurück und begann zu schmunzeln. »Gottseidank kam die Botschaft trotz meines mäßigen Baritons an. Es ist nämlich eine Sopranstelle. Aber glauben Sie mir: Ich habe noch nie in meinem Leben inbrünstiger gesungen.«
     
    *
     
    Zwölf Stunden später fiel warmer Nachmittagssonnenschein durch das kreisrunde Oberlicht in Beauforts Bibliothek. Anne Kamlin saß im Ohrensessel, ihre langen Beine auf einem gepolsterten Schemel ausgestreckt. Kopf und Oberkörper waren hinter dem Feuilletonteil der ZEIT vollständig verborgen. Nur ihre gepflegten Finger mit dem lila Nagellack, die die Wochenzeitung hielten, schauten dahinter hervor. Aus den Lautsprecherboxen erklang leise Musik von Chet Baker. Nachdem sie einen süffisanten Artikel über das Institut für Fußballkultur in Nürnberg gelesen hatte, ließ sie das Blatt leise raschelnd sinken. Als sie aufsah, musste sie kichern. Beaufort lag keine drei Meter von ihr entfernt auf der Couch und schmökerte in der Brigitte .
    »Na komm schon, Frank, du brauchst nicht gleich eine Show abzuziehen, bloß weil ich mir mal deine geheiligte ZEIT schnappe, bevor du sie in Händen gehalten hast.«
    Er schaute hinter der Zeitschrift hervor und lächelte sie an. »Da liegst du völlig falsch. Für dich verzichte ich doch gerne auf den Genuss des ersten Lesens, mein Schatz. Die Brigitte ist genau das, was ich jetzt brauche.«
    »Was wird dich darin schon interessieren?«
    »Diät und Fitness natürlich. Ich staune, was es da alles gibt. Diese Schlankheitskur hier mit exotischen Früchten schaut echt lecker aus.« Er hielt ein farbenfrohes Foto von einem Papaya-Guaven-Shake in die Höhe.
    Anne sah ihn ungläubig an. »Du willst mich veräppeln.«
    »Nein, wirklich nicht. Du hast doch selbst gesagt, dass ich zu viel Speck angesetzt habe. Ich könnte ja mal eine Zeitlang Süßigkeiten und Kuchen reduzieren.« Er legte das Blatt auf dem Tisch ab.
    »Und woher dieser plötzliche Sinneswandel?« Anne war noch nicht von der Ernsthaftigkeit seiner Ausführungen überzeugt.
    Er schaute sie mit seinen blauen Augen voll an, die

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