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Requiem

Requiem

Titel: Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kruse
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wollten mich töten, einfach so, weil ich gerade da war. Ich war allein, ich war Ausländer, das reichte denen. Ich lag wochenlang im künstlichen Koma und überlebte. Irgendwann wurde das Verfahren gegen unbekannt eingestellt. Das alles ist Jahre her.«
    »Grauenhaft.« Beaufort schluckte und drehte sein Gesicht zur Decke. Sein Nacken schmerzte, weil der Kopf die ganze Zeit verdreht gelegen hatte. »Aber was haben Gessner, Kunz, Tronka und der Richter damit zu tun? Ich verstehe immer noch nicht den Zusammenhang.«
    »Die sind doch alle gleich. Ich habe versucht, es zu vergessen. Ich hatte ja meine Musik. Und ich habe meine Muskeln trainiert. Nie wieder wollte ich so wehrlos sein. Aber mein Körper lässt es mich nicht vergessen. Ich denke jeden Tag daran.« Er schwieg eine Weile und ließ den Rosenkranz klackernd durch seine Finger gleiten. Beaufort unterbrach ihn nicht. »Und dann kam ich letzten September hierher nach Nürnberg. Es ist ein gutes Orchester, wissen Sie. Aber beinahe jeden Tag musste ich auf dieses schreckliche Gelände. An diesen Ort, wo mit Hitler alles seinen Anfang nahm. Er hat eine böse Aura. Dies ist Satans Platz. Und als dann seine Jünger am Rande dieses Geländes wieder einen Mord begingen, den kein irdischer Richter rächen wollte, gab ER mir den Auftrag, ein Fanal zu errichten und für Gerechtigkeit zu sorgen.«
    Der Mörder hatte immer lauter und aufgeregter gesprochen. Seine Worte hallten durch den Raum.
    »Wer, er? Sie meinen, Sie haben den Auftrag direkt von Gott erhalten?« Es gelang Beaufort nicht ganz in seiner Stimme zu verbergen, dass er den Mann für einen armen Irren hielt, einen gefährlichen armen Irren.
    »Das verstehen Sie nicht.« Er stand abrupt auf und stopfte den Rosenkranz in seine Jackentasche. »Wir haben schon viel zu viel geredet«, sagte er schroff. »Sie machen einen ganz meschugge. Es wird Zeit, das Urteil zu vollstrecken.«
    Er trat an den Spind, öffnete die quietschende Tür und holte ein langes Messer daraus hervor. Beaufort war von dieser Wendung des Gesprächs völlig überrascht. Der Schweiß brach ihm aus, und er spürte Todesangst. Jetzt sah der Mörder ihn mitleidig an.
    »Keine Angst. Es wird nicht wehtun«, sagte er sanft. »Ein schneller Stich ins Herz und es ist vorbei. Die Klinge ist auf beiden Seiten geschliffen.« Er strich beinahe liebevoll mit dem Finger über die flache Seite des scharfen Stahls, der im Licht der hellen Deckenleuchte aufblitzte.
    Fieberhaft suchte Beaufort nach einem Ausweg. »Hat ER Ihnen auch gesagt, dass Sie mich töten sollen, oder ist das Ihre Idee? Sie wissen genau, dass ich die Todesstrafe nicht verdient habe.«
    Langsam kam der Mörder auf ihn zu.
    »Ich bin unschuldig! Ich habe mit diesen Nazis nichts zu schaffen! Ich bin auf Ihrer Seite!« Beaufort redete um sein Leben. Er versuchte sich in den Kopf dieses geistesgestörten Mannes hineinzudenken. Es war zwecklos, seine wahnsinnige Gerichtsbarkeit anzuzweifeln, aber vielleicht konnte er über das Strafmaß verhandeln. »Wenn Sie mich töten, werden Sie zum ersten Mal ein Unrecht begehen.«
    Der Mörder blieb vor ihm stehen, das Messer drohend in der Hand. »Aber Sie haben den Plan gestört«, krächzte er schauerlich.
    Beaufort stand unter Hochspannung. Die Drähte in seinem Gehirn begannen zu glühen. »Der Plan wurde geändert«, rief er. »Die Polizei ist Ihnen auf den Fersen. Sie werden keine Chance mehr bekommen, die beiden anderen noch zu töten. Belasten Sie Ihr Gewissen nicht mit dem Mord an einem Unschuldigen. Sie sind schon jetzt zu weit gegangen.«
    Der Mann starrte ihn mit irrsinnigem Blick an. Ein verzweifelter Klagelaut entrang sich der Kehle des Musikers. So musste Rumpelstilzchen ausgesehen haben, bevor es sich selbst entzweiriss. In höchster Not begann Beaufort zu singen.
    »Libera me, Domine, de morte aeterna, in die illa tremenda.«
    Mit diesem Hilfeschrei aus Verdis Requiem hatte er wohl eine Saite in dem wahnsinnigen Geiger angeschlagen. Kraftlos sank er vor Beaufort in die Knie. Er betete auf dem kalten Betonboden. Tränen rannen ihm über das Gesicht.
    Mit lautem Krachen wurde die Tür aufgerissen. Mehrere vermummte Gestalten mit Waffen in den Händen stürmten herein. Auf einen Schlag war der Raum von Hektik und Lärm erfüllt. Der Mörder sprang blitzschnell auf. Drohend hielt er das Messer über Beauforts Brust.
    »Waffe fallen lassen!«, gellte der Befehl eines Polizisten im Schutzanzug.
    Einen Moment lang verharrte der Musiker

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