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Requiem

Requiem

Titel: Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kruse
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erkannte Hubertus, steuerte schnurstracks auf ihn zu und rief mit schneidender Stimme: »Was ist denn das für eine Sauerei?« Und als der Pressesprecher nicht sofort reagierte: »Herrgott, Hohenstein! Ich rede mit Ihnen.«
    So rüde war Anne noch nie in einem Interview gestört worden. Hubertus verdrehte entschuldigend die Augen und versuchte, den höflichen Umgangston wiederherzustellen.
    »Darf ich vorstellen? Hagen Markgraf, Vorsitzender des Verbandes der Bioerzeuger und Mitveranstalter der Bio-Fach. Anne Kamlin vom Bayer …«
    »Ich will nicht wissen, wer diese Frau ist. Ich will wissen, was das hier zu bedeuten hat.« Er fuchtelte mit seinem Arm herum.
    »Ein kleiner Anschlag von Sprayern«, versuchte Hubertus abzuwiegeln. »Regen Sie sich doch nicht so auf, Herr Markgraf. Wie Sie sehen, wird …«
    »Ich rege mich aber auf!«, unterbrach ihn sein Gegenüber erneut, » Wie sollte ich mich denn über Hakenkreuze nicht aufregen? Es ist unerträglich, dass unsere Messe mit diesem Blut-und-Boden-Unrat befleckt wird. Wir haben mit nationalsozialistischem Gedankengut nichts zu tun.«
    »Aber niemand käme auf die Idee, dass …«
    »Sie sind mir persönlich dafür verantwortlich, dass das hier SOFORT verschwindet. Schaffen Sie noch mehr Leute her. Bis zur Pressekonferenz darf nichts mehr davon zu sehen sein. Das ist eine Katastrophe!«
    »Aber, Herr Markgraf …«
    »Oder wollen Sie, dass die Bio-Fach nächstes Jahr in Düsseldorf stattfindet? Das meine ich todernst!«
    Mit hochrotem Gesicht rauschte der Mann durch den Messeeingang, dicht gefolgt von dem um ihn herumwuselnden Pressesprecher.
    Frank und Anne schauten sich fragend an.
    »Was war denn das für ein Auftritt?«, sagte er.
    »So ein arrogantes Arschloch. Der glaubt wohl, selbst die Sonne muss sich um ihn drehen.«
    »Aber er hat einen exzellenten Schneider. Sein Anzug hat richtig italienischen Schick.«
    Anne runzelte die Stirn und schaute ihn schief von der Seite an. »Worauf du in solchen Momenten alles achtest.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich meine, das ist zwar ärgerlich hier mit den Hakenkreuzen, aber hast du eine Ahnung, warum sich der Typ dermaßen aufregt?«
    »Nein. Am Sonntag war er jedenfalls noch ganz ausgeglichen.«
    »Kennst du den Kerl etwa?«
    »Nicht besser als du. Erinnerst du dich nicht an ihn? Markgraf war unter den Schaulustigen an der Ehrenhalle. Er hatte einen superedlen Mantel an. Deshalb ist es mir auch wieder eingefallen.«
    Anne war aufgeregt. »Mensch, Frank, jetzt wo du’s sagst. Stimmt genau! Er gehörte zu denen, die sich so schnell verdrückt haben, als ich mein Mikrofon zückte. Glaubst du, der lebt hier? Der klang eher, als würde er aus dem Norden stammen.«
    »Tscha, von deer Soorte laufen jaa man grraade mehr hier rum.«
    Anne knuffte ihn in die Seite und bemühte sich um Strenge. »Tu das bitte nie wieder, wenn ich arbeite. Ich hab mir vor Lachen fast ins Höschen gemacht. Hast du mich verstanden, Kollege Pagenstecher?« Beaufort grinste breit. »Wie bist du nur auf diesen bescheuerten Namen gekommen?«
    »Daniel Pagenstecher ist die Hauptfigur des größten deutschen Romans des 20. Jahrhunderts«, sagte er bestimmt.
    »Hab’ ich noch nie gehört. Wo kommt der vor? Im Zauberberg ? In der Blechtrommel ?«
    »Nein, in Arno Schmidts Zettels Traum .«
    »Sagt mir nichts. Und das soll der größte Roman sein?«
    »Ganz sicher. Das Buch ist 44 Zentimeter lang, 33 Zentimeter breit, rund 1 300 DIN A3-Seiten dick und mindestens so schwer wie eine halbe Kiste Mineralwasser. Kennst du einen größeren Roman?«
     
    *
     
    Beaufort saß in der Sonne, hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und seufzte behaglich. Er war zu faul, um die Zeitung aufzuheben, die ihm von den ausgestreckten Beinen gerutscht war. Vor dem Restaurant am Klarissenplatz hatte er ein windgeschütztes Eckchen gefunden, das ausgefallene Frühstück mit einem schmackhaften Mittagessen kompensiert und döste nun wie ein satter Kater ein wenig vor sich hin.
    Anne war von der Messe gleich wieder in die Redaktion zurückgefahren, um das Interview mit Hubertus von Hohenstein in O-Töne zu zerlegen. Und Beaufort war angesichts des schönen Wetters um den Dutzendteich spaziert, danach ein Stückchen mit der Straßenbahn gefahren und schließlich zu diesem ruhigen Altstadt-Platz vor dem Neuen Museum geschlendert.
    Beaufort blinzelte. Vieles ging ihm durch den Kopf. Er dachte an Lotti Bruns Artikel über den gestrigen Prozesstag, den er gerade gelesen hatte.

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