Requiem
reichte hier von vornehmer Zurückhaltung bis hin zu schroffer Zurückweisung – diametral gegenüber. Vielleicht kam Beaufort deshalb so gern hierher: Insgeheim sehnte sich die erdenschwere fränkische Seele nach ein wenig lateinamerikanischer Leichtigkeit.
»Was gibt’s denn da draußen zu sehen?«, fragte Beaufort, denn Javier schaute schon wieder aus dem Fenster. Auf der anderen Flussseite riss ein Bagger ein Haus ein und lud Schutt auf einen LKW.
»Sie reißen die Augustinerhof ab, und ich bekomme einen sönen freien Blick.« Javier sprach mit deutlich spanischem Akzent.
»Für den Moment jedenfalls. Ist doch toll, dass sich da endlich etwas tut. Schöner als diese Abbruchhäuser wird es bestimmt werden.«
Bald nachdem Anne und Frank die Augustinerhof-Morde aufgeklärt hatten, war das heruntergekommene Areal zwangsversteigert worden. Nach über zehn Jahren Stillstand hatte sich tatsächlich ein Investor gefunden, der sich mit der neuen Vorsitzenden von ProNürnberg auf eine Bebauung verständigt hatte. Es wurde zwar schon abgerissen, aber noch waren die Pläne für den neuen Augustinerhof nicht öffentlich gemacht worden.
»Wusstest du son, dass der Käufer von Augustinerhof mit die neue Baureferentin liiert ist?«
»Tatsächlich? Ach, deswegen hat er sich getraut, in dieses Projekt zu investieren.«
»Du siehst, du musst immer su mir kommen, wenn du den neuesten Klats erfahren willst.« Javier lachte. »Jetst kannst du dir deine Gemordeten woanders suchen.«
»Ich bin gerade dabei. Hast du von dem Toten auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände gehört?«
»Von diesem Neonasi? Natürlich. Da weiß man nicht, ob man das nu slegt oder gut finden soll.«
»Du hast ja ganz schön radikale Ansichten.« Beaufort lächelte. »Und ich habe dich immer für einen Pazifisten gehalten. Immerhin geht es um Mord – egal ob Neonazi oder nicht.«
»Du bist ja auch noch nie von diese Leute, wie sagt man, gepiesackt worden.«
»Aber du?«
»Oh, ja. Willst du einen Wein trinken? Dann kann ich dir davon ersählen.«
»Ehrlich gesagt: Ich hatte gehofft, dass du mich zu einem Espresso einlädst.«
»Natürlich, mein Freund. Wir trinken beide einen.«
Beaufort hängte sein Sakko an die Garderobe und folgte Javier in den hinteren Raum, wo es Weinregale, eine Verkaufstheke und einen Kaffee-Automaten gab. Als sie beide in ihren Tässchen rührten, fing Javier zu erzählen an.
»Wusstest du, dass swei von drei Deutse finden, es gib su viele Ausländer hier? Ich habe Bekannte und Kunden, die mir das ins Gesicht sagen. Und wenn ich sie daran erinnere, dass ich auch Ausländer bin, sagen die immer: Nein, Javier, damit meinen wirr DICH doch nicht. Du bis doch son ein halber Deutser.«
»Du meinst, viele Leute unterscheiden nach ›guten‹ und ›weniger guten‹ Ausländern?«
»Gans sicher tun sie das. Bist du Amerikaner oder Swede, bist du ein guter Ausländer. Bist du Araber oder Afrikaner, hast du eben Peg gehabt.«
»Und wo stehen die Argentinier?«
»Ich gehöre su die Fast-Guten. Du weißt ja, ich sehe unglaublich gut aus«, lachte Javier, »nicht su fremd, aber doch ein bisschen exotis. Das mögen die meisten, aber eben nicht alle.«
»Und wie äußert sich das Nichtmögen?« Beaufort trank die Tasse mit zwei Schlucken leer.
»Von subtil über frech bis böse. Du bekommst im Restaurant öfter die englise Speisekarte. Du fragst eine Verkäuferin etwas und wirst einfach ignoriert. Oder du wirst richtig beleidigt. Das sind dann oft Gruppen, und es ist Alkohol im Spiel. Ich bin son von Jugendlichen in der U-Bahn angemacht worden, und von swei Besoffenen auf der Kirchweih in Kalchreuth.«
»Das muss doch nicht immer fremdenfeindlich gemeint gewesen sein. Unfreundliche Verkäuferinnen und U-Bahn-Pöbeleien habe ich auch schon erlebt.«
»Hast du auch son erlebt, dass die Seiben in deine Gesäft eingeslagen waren und jemand ›Ausländer raus‹ auf deine Hauswand gesrieben hat?«
Beaufort schwieg betroffenen und drehte die leere Espressotasse auf ihrer Untertasse hin und her.
»Ich glücklicherweise auch noch nicht, aber in letster Seit ist so etwas mehrere ausländise Gesäftsleute hier passiert. Es seint so, als ob das eine Offensive der Rechtsradikalen ist.«
»Hast du eine Ahnung, wo die sich treffen? Irgendwo müssen die ihre Pläne doch aushecken.«
»Das wechselt. Ein eigenes festes Haus haben die in Nürnberg nicht. Und kein Wirt will sie auf Dauer in seinen Lokal haben, dasu ist der Druck von den
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