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Requiem

Requiem

Titel: Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kruse
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Schrittgeschwindigkeit erlaubt war. Das reichte zwar aus, um dem Langhaarigen zu entkommen, der sich wieder aufgerappelt und seine Verfolgung humpelnd fortgesetzt hatte, doch war es nicht schnell genug für den zweiten Neonazi, der ihnen entgegenkam. Obwohl Beaufort sich tief in seinen Sitz presste, hatte er das ungute Gefühl, wiedererkannt zu werden, als das Taxi gemächlich an dem Blonden vorbeiglitt.
     
    *
     
    Beaufort war sauer. Da wurde man von gewaltbereiten Nazis verfolgt, und weder die Geliebte noch der beste Freund nahmen Anteil daran. Er hatte im Taxi versucht, beide anzurufen. Anne war irgendwo im Studio verschollen, sie war jedenfalls unter keiner der drei Durchwahlnummern zu erreichen, die er kannte, und auch ihr Handy war ausgeschaltet. Und Ekkis Sekretär erklärte ihm, dass sein Chef den ganzen Nachmittag über zu wichtigen Terminen außer Haus sei und derzeit nicht mal von ihm selbst erreicht werden könne. Er opferte sich heldenhaft, trug seine Haut zu Markte, hielt seinen Kopf hin, wandte all seinen Scharfsinn an, trotzte jeder Gefahr, überwand alle Hindernisse und scheute weder Kosten noch Mühen, um der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen; und interessierte das jemanden? Nein! Der Herr Justizsprecher ließ sich verleugnen, und die Frau Kamlin bastelte ja lieber an ihrer Karriere, als sich wenigstens mal ein bisschen um ihren Freund zu kümmern. Der konnte ja in Hersbruck verrecken. Dem weinte ja keiner eine Träne nach. Dass er bei seinem Lamento einen Hauch ungerecht war, denn schließlich konnten sich weder Anne noch Ekki um ihn Sorgen machen, da er sie gar nicht in seine Pläne eingeweiht hatte – sie hätten sie auch beide nicht gutgeheißen –, kam ihm nicht ernstlich in den Sinn. Er brauchte jetzt eine treue Seele, ein offenes Ohr und eine geistige Stärkung. Er brauchte Wolf-Dieter und seine alkoholischen Elixire. Beaufort ließ sich deshalb von seinem Hersbrucker Taxifahrer bei dem Kneipenwirt und Weinhändler seines Vertrauens absetzen, der seit kurzem am Weinmarkt residierte. Da die wunderhübsche Weißgerbergasse an ihrem unteren Ende immer mehr zur Partymeile verkam, hatte Wolf-Dieter sein Geschäft einfach ein paar hundert Meter weiter oben in Sichtweite der Sebalduskirche wiedereröffnet.
    Dort verbrachte Beaufort einige stimmungsvolle Stunden, flirtete aus Trotz ein wenig mit einer hübschen Blondine aus Bayreuth, ärgerte sich mit Wolf-Dieter gemeinsam darüber, dass Nürnberg immer noch als ›Stadt der Reichsparteitage‹ wahrgenommen wurde, während das mit dem Nationalsozialismus mindestens ebenso eng verbandelte München sein einst stolz getragenes Etikett ›Hauptstadt der Bewegung‹ klammheimlich gegen das sympathische ›Weltstadt mit Herz‹ eingetauscht hatte, aber spätestens nach dem dritten Riesling machte er sich keine Gedanken mehr darüber, wo Gessner abgeblieben war, was die beiden Neonazis eigentlich in seinem Haus gewollt hatten und wer den Toten vom Luitpoldhain auf dem Gewissen hatte.
     
    *
     
    »Tag der Rache, Tag der Sünden. Wird das Weltall sich entzünden, wie Sibyll und David künden …« Seine Schritte hallten durch den langen, dunklen Gang. Er ging im Rhythmus der heiligen Worte. Und er achtete darauf, nicht auf die Fugen des rohen Betonfußbodens zu treten. »… Welch ein Graus wird sein und Zagen, wenn der Richter kommt mit Fragen, streng zu prüfen alle Klagen …« Der Lichtstrahl seiner Taschenlampe reichte nur etwa drei Meter weit in die Dunkelheit. Doch er bewegte sich zielstrebig vorwärts. Er passierte graue Türen rechts und links, die in die Backsteinwände eingelassen waren. Schließlich stoppte er vor einer, die sich durch nichts von den anderen unterschied. »… Laut wird die Posaune klingen, durch der Erde Gräber dringen, alle hin zum Throne zwingen …« Er zog den Schlüssel aus der Tasche, drehte ihn zweimal im Schloss und stemmte sich gegen die schwere Stahltür. Erst als er in das Kellerverlies eingetreten war und die Tür wieder geschlossen hatte, knipste er die Deckenbeleuchtung an. Die dunkle Funzel hatte er durch eine 200-Watt-Glühbirne ersetzt. Denn er brauchte Licht für seinen Plan. »… Schauernd sehen Tod und Leben sich die Kreatur erheben, Rechenschaft dem Herrn zu geben …« Auf der Pritsche lag gefesselt und mit einem Knebel im Mund der Verführer. Es war so leicht gewesen, diesen Teil des Planes auszuführen. Der Verführer hatte noch nicht mal die Tür verriegelt, so sicher fühlte er sich. Er hatte am

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