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Requiem

Requiem

Titel: Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kruse
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einzige Fahrzeug ein, das dort wartete.
    Ein gemütlicher Franke mit dickem Bauch saß hinter dem Steuer und machte Brotzeit. Er pellte gerade ein hartgekochtes Ei und fragte, wo es hingehen solle. Beaufort nannte den Namen der Parallelstraße hinter Gessners Haus, der Mann schob sich das Ei komplett in den Mund und fuhr los. Im Radio lief Billy Joels Just the way you are . Beaufort fragte sich, welcher Sender da wohl gerade einen seiner Lieblingssongs spielte, als der Moderator die Musik mit dem Slogan »Wir lieben Oldies« anpries und die Bayern 1-Regionalnachrichten ankündigte. Es war Annes Stimme, die er hörte, und er bat den Taxifahrer, lauter zu drehen, weil, so erklärte er dem Mann stolz, da gerade seine Freundin spräche. Anne las als erstes die Nachricht von Gessners Verschwinden vor.
    »Dass su anner bei uns wohnd, des is a Schand«, bemerkte der Taxifahrer.
    »Gibt es denn hier keine Neonazi-Szene?«
    »Bei uns doch ned. Des gibd’s vielleichd in Wundsiedl hindn oder in Gräfnberch. Ober däi sänn alle ned vu dou. Däu kummer drobn vu Sachsn nunder«, sprach er im Brustton der Überzeugung.
    Beaufort hegte da so seine Zweifel. »Aber Gessner ist doch auch ein Franke, oder nicht?«, entgegnete er.
    »Des is a Einzelfall. Mier braung däi NBD ned. Wall mier hom doch die CSU.«
    Beaufort schmunzelte. Der Taxifahrer hatte das sicher anders gemeint, als es klang.
    In der Parallelstraße angekommen, bat er den Mann zu warten, bis er zurückkäme. Das würde vermutlich nicht länger als zehn, fünfzehn Minuten dauern. Beaufort schulterte seinen Rucksack und schlenderte durch die Vorortsiedlung. Er sah schon etwas ältere Häuser aus der unmittelbaren Nachkriegszeit: weißer Putz, gepflegte Vorgärten, Auffahrten mit Garage, wenige parkende Autos am Straßenrand. Kein Mensch war zu sehen, die Bewohner waren zur Arbeit oder hielten Mittagsstunde.
    Um Gessners Grundstück lief ein Jägerzaun. Dahinter ein paar Forsythien- und Rhododendrensträucher und viel Rasen, ordentlich gemäht. Er öffnete das Gartentor, ging zur Haustür und klingelte. Nichts rührte sich. Aus dem Briefkasten ragten zwei Zeitungen. Beaufort sah sich um. Er konnte niemanden entdecken. Noch einmal klingelte er, dann ging er um das Haus herum. Er benahm sich wie ein Besucher, der seinen Gastgeber nicht antrifft und hinten im Garten nachschaut. Dort führte ein kleiner Tritt drei Stufen hinauf zur Hintertür. Beaufort holte Draht und Schraubenzieher aus dem Rucksack, zog die Handschuhe an und drückte die Klinke hinunter. Die Tür war zu seiner Überraschung nicht verschlossen. Er steckte das Werkzeug in die Gesäßtasche seiner Jeans und ging hinein.
    Beaufort stand in der Küche, Marke Eiche rustikal. Alles war sehr aufgeräumt, nur vor ihm auf dem Tisch standen ein leerer Teller und ein leeres Glas, daneben eine halbvolle Flasche Bier. Im Brotkorb lag eine trockene Scheibe Schwarzbrot, dahinter ruhte ein Stapel Gerichtsakten: Lektüre fürs Abendbrot. Nichts deutete auf einen Kampf oder ähnliches hin. Aber merkwürdig, dass Gessner den Tisch nicht abgeräumt hatte, bevor er abgehauen war, dachte Beaufort, wo hier doch sonst alles so akkurat war.
    Er machte einen Rundgang durchs Haus. Äußerlich ging er dabei ganz souverän vor, als sei das unerlaubte Betreten fremder Häuser seine tägliche Gewohnheit, doch innerlich war er ganz schön aufgeregt. Es grummelte in seinem Gedärm. Adrenalin und Sauerkraut – keine gute Kombination. Das Wohnzimmer gegenüber der Küche wurde von einer moosgrünen Velourssitzgruppe dominiert, deren Armlehnen mit gehäkelten Spitzendeckchen geschmückt waren. Der nicht sehr große Raum war mit dem Dreisitzer, dem Zweisitzer und dem wuchtigen Sessel nahezu vollgestellt. Dazu gab es noch einen großen Wohnzimmerschrank mit Nussbaumfurnier, und am Fenster standen eine Blumenampel und ein Gummibaum. Beaufort warf einen Blick in den Schrank. Es gab einen Fernseher, einen DVD- und Videorecorder, aber keine Bücher. Stattdessen waren die Regale mit Videobändern vollgestellt, die in hellbraunen, buchähnlichen Lederimitathüllen steckten. Er machte ein paar Stichproben: Mission Impossible, Rambo, Pretty Woman , der ganz normale Hollywood-Mainstream. In einer Schublade ganz hinten fand er weitere Videobänder – offenbar hatte er den Giftschrank entdeckt. Doch statt rechter Propagandastreifen oder Gewalt-Pornos, die er erwartet hätte, lagen dort sämtliche Filme von Woody Allen. Als bekennender Antisemit konnte

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