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Requiem

Requiem

Titel: Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kruse
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Abendbrottisch gesessen und nicht bemerkt, wie er immer näher kam. Aber dieses Mal hatte er das Betäubungsmittel richtig dosiert. »… Und ein Buch wird aufgeschlagen, treu darin ist eingetragen jede Schuld aus Erdentagen …« Es stank in dem Verlies. Er warf einen Blick auf die Pritsche. Aus aufgerissenen Augen starrte der Verführer ihn an. Er hatte sich eingenässt und eingekotet. Ein ekelerregender Anblick. Doch er würde kein Mitleid haben. Er wandte sich ab und öffnete den Stahlschrank an der gegenüberliegenden Wand. »… Sitzt der Richter dann zu richten, wird sich das Verborgne lichten; nichts kann vor der Strafe flüchten …« Er band sich ganz ruhig die Gummischürze um, setzte die Einmalhaube auf, zog die langen Latexhandschuhe an und schlüpfte in die Gummistiefel. Dann griff er nach dem Messer. Der Verführer wimmerte und wand sich unter seinen Fesseln, als er langsam auf ihn zukam. »… Tag der Rache, Tag der Sünden …«

 
    Juste judex ultionis
    Richter Du gerechter Rache
     
    7. Kapitel: Freitag, 26. April
    Das Telefon klingelte mit unglaublicher Penetranz. Beaufort zog mühsam die Hände unter der Decke hervor und presste sie sich gegen die schmerzenden Schläfen. Jedes einzelne Läuten erschien ihm so schrill, als würden direkt neben seinem Ohr Metallrohre mit einer Kreissäge zerteilt. Nach der Flasche Riesling gestern wäre er besser nicht zu dem schweren Rotwein übergegangen. Oder war Wolf-Dieters Grappa schuld? An den Rückweg in sein Penthaus konnte er sich auch nicht so richtig erinnern. Wann hörte dieser verdammte Lärm nur endlich auf? Beaufort sah auf seinen Wecker: Es war erst kurz nach acht. Wer wagte es, ihn so früh am Morgen zu stören? Barfuß eierte er in die Bibliothek zum Telefon. Dem würde er die Meinung sagen.
    »Es ist wieder eine Leiche aufgetaucht. Diesmal auf der Zeppelintribüne. Ich habe es gerade hier in der Redaktion erfahren, von einem Spaziergänger, der angerufen hat.« Annes Stimme klang ernst und sachlich.
    Beaufort war mit einem Schlag hellwach. »Okay, ich fahre sofort los. In 20 Minuten sehen wir uns dort draußen.«
    »Sachte, Frank. Ich habe keine Zeit, da jetzt hinzufahren. Ich muss raus zum Club. Gleich beginnt das Training, und dann ist die PK vor dem Auswärtsspiel gegen Schalke. Ich mache doch den Bundesliga-Vorbericht.«
    Er war fassungslos. »Du lässt dir diese Story einfach durch die Lappen gehen? Hier geht es doch wahrscheinlich um Serienmord. Und du beschäftigst dich mit Fußball?« Er sprach das letzte Wort so abschätzig aus als würde er ›Hundescheiße‹ sagen.
    »Ich will jetzt nicht mit dir darüber diskutieren, hörst du? Das hier ist mir sehr wichtig. Im Moment lautet meine Devise eben: Sport vor Mord.«
    »Interessiert dich das alles überhaupt nicht mehr?«, sagte er bitter.
    »Doch Frank, aber ich kann mich nicht zerteilen.« Annes Stimme nahm einen milderen Klang an. »Roland fährt gerade raus zum Reichsparteitagsgelände – er macht die Berichte heute. Die Leiche soll noch dort sein. Ihr beide werdet mich schon auf dem Laufenden halten. Sei lieb, ja? Ich muss jetzt wirklich Schluss machen.«
    »Wenn ich dich irgendwann mal ans Telefon kriege, was ja derzeit nicht so einfach ist, werde ich es vielleicht tun«, sagte Beaufort eingeschnappt und legte auf.
     
    *
     
    Ungeduscht, ohne Frühstück, mit heftigen Kopfschmerzen und denkbar schlechter Laune stieg er aus dem Taxi.
    Das Telefon hatte gleich nach dem Gespräch noch mehrfach geläutet, aber er war nicht rangegangen. Er wollte Frau Kamlin ja nicht von ihren dringenden Pflichten abhalten.
    Eine dicke Wolkendecke hing tief über dem Reichsparteitagsgelände. Rechts lag der Große Dutzendteich, die Wasseroberfläche war stumpf und grau. Vor dem Kiosk am Ufer standen schon die ersten Kunden und deckten sich mit Frühstück ein, die einen mit belegten Brötchen, die anderen mit Sechsämtertropfen. Ein Schwall von Bratfettgeruch verursachte ihm leichte Übelkeit. Links befand sich die breite, wenig befahrene Zeppelinstraße, dahinter lag der kleine Dutzendteichbahnhof. Direkt vor ihm erhob sich die Stirnseite der Zeppelintribune, von Albert Speer dem antiken Pergamon-Altar nachempfunden und aus weißem Jurakalk errichtet. Es war der einzige Mammutbau hier, der auch wirklich fertiggestellt und noch von den Nazis benutzt worden war – sofern man bei nur einer Woche Reichsparteitag im Jahr überhaupt von Nutzung sprechen konnte, gegenüber den restlichen 51 Wochen

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