Requiem
verhindern. Doch es sollte noch weitere 15 Minuten dauern, bis die Kripo das gestattete, denn es durften keine Spuren zerstört werden.
»Dafür ist es jetzt sowieso schon zu spät, Ekki«, sprach Beaufort seinen Freund von hinten an.
Der Justizsprecher riss den Kopf herum. »Du hier? Na, das hätte ich mir ja denken können.« Aber er sah gar nicht böse dabei aus, sondern eher resigniert. »Dann ist Anne wohl auch nicht weit?«
»Doch, leider. Aber lass uns nicht davon reden.« Beaufort fiel ein, dass er Ekki besser seinen Besuch in Gessners Haus gestern beichten sollte. »Ich muss dich dringend sprechen«, sagte er.
Ein Journalist mit Block und Umhängetasche redete Ertl von der Seite an. »Geben Sie mir ein kurzes Interview?«
»Mir auch!«, rief eine junge Frau mit einem Mikrofon in der Hand, Beaufort erkannte an ihrem Windschutz, dass sie vom Privatradio war.
»Natürlich«, antwortete Ekki verbindlich lächelnd, »aber viel kann ich Ihnen noch nicht sagen. Haben Sie Ihr Glück schon beim Kollegen Stadlober versucht?«
»Aber wir hätten gern noch den Standpunkt der Justiz gehört«, schmeichelte die junge Radioreporterin.
Ekki drehte sich zu Beaufort um. »Du siehst, Frank, ich kann jetzt beim besten Willen nicht. Komm heute Nachmittag in mein Büro. So gegen drei.« Und damit wandte er sich erneut den Journalisten zu.
Beaufort hörte noch eine kleine Weile dem Frage-und-Antwort-Spiel zu, aber Ekki legte sich mal wieder nicht fest.
»Handelt es sich um einen Serienmörder?«
»Das ist eine Spur, die wir neben anderen verfolgen.«
»Welchen Spuren gibt es denn?«
»Das lässt sich beim jetzigen Stand der Ermittlungen noch nicht genauer sagen.«
Diesmal hatte Beaufort sogar Verständnis für seine Floskeln. Im Grunde wunderte er sich, dass Ekki bei seinem Kenntnisstand überhaupt Interviews gab.
Ganz in der Nähe stand Roland Salewski. Er hatte das gleiche digitale Aufnahmegerät mit integriertem Mikrofon in der Hand, das Anne seit kurzem benutzte. Beaufort ging zu ihm, und die beiden Männer begrüßten sich mit Handschlag. Ein paar von Annes Kollegen, darunter auch Roland, hatte er auf Partys kennengelernt.
»Seit wann trägst du denn einen Vollbart?«
»Seit meine Haare oben spärlicher werden. Ich dachte mir, das lenkt vielleicht davon ab. Im Gesicht wachsen sie ja noch prächtig«, antwortete Roland.
Das war mal ein Männerproblem, das Beaufort keine Sorgen bereitete. Dafür war Roland aber gertenschlank. Beaufort ließ sich von ihm erzählen, was er bei seinen Interviews über diesen Mord bislang herausbekommen hatte, doch das war auch nicht viel mehr, als er selbst schon wusste. Immerhin hatte der Journalist diejenige ausfindig gemacht, die den Toten vorhin entdeckt hatte. Es war eine junge Historikerin vom Verein Geschichte für Alle gewesen, die eine Schulklasse über das weitläufige Gelände führen wollte und als Treffpunkt die Zeppelintribüne gewählt hatte. Während sie auf die Schüler wartete, waren ihr die streitenden Raben aufgefallen, die in der Ferne auf der Führerkanzel einen Menschen umflogen. Erst als sie näher herangegangen war, hatte sie die Situation erkannt und die Polizei verständigt. Sonst war ihr nichts Verdächtiges aufgefallen. Schon bald waren dann auch die ersten Jogger, Hundebesitzer und Fußgänger auf dem Weg zur Arbeit stehengeblieben, manche von ihnen hatten sogar die Tribüne erklommen, um sich den Toten näher anzusehen. Jetzt wollte Roland sein Interviewglück noch beim Justizpressesprecher versuchen und dann schnell in die Redaktion zurückfahren. Beaufort wünschte ihm viel Erfolg und ließ Anne grüßen, falls er sie denn zu Gesicht bekäme.
Der Gedanke an den Knatsch mit seiner Freundin stimmte ihn wieder missmutig. Auf einmal war ihm der ganze Trubel zu viel, und er fragte sich, was er hier überhaupt zu suchen hatte. Grübelnd entfernte er sich von der Gruppe und stieg langsam die vielen Stufen der Tribüne hinauf. Sie waren abgebröckelt und notdürftig mit Zement repariert worden – der weiße Kalksandstein war offensichtlich kein Material, das tausend Jahre hielt. Als er den Scheitelpunkt des Bauwerks erreicht hatte – früher von über 100 Säulen gesäumt, die man Mitte der 60er Jahre wegen angeblicher Baufälligkeit weggesprengt hatte –, drehte er sich um. Der Ausblick von hier oben war spektakulär: Rechts lagen Dutzendteich und Kolosseum, links Frankenstadion und Eisarena, im Hintergrund sah er hinter einem Wäldchen die Große
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