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Requiem

Requiem

Titel: Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kruse
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Straße und das Messegelände, und direkt unter ihm befand sich das Zeppelinfeld, ein von Türmen und Tribünen umschlossenes rechteckiges Areal, in dem früher Reichsarbeitsdienst, NSDAP-Kader und das Militär aufmarschiert waren. Hier hatte es den berühmten nächtlichen Lichtdom aus hunderten von in den Himmel gerichteten Flakscheinwerfern gegeben, der die Volksgemeinschaft der Arier einen sollte. Das war, selbst nach den Maßstäben heutiger Lasershows, ein beeindruckendes Schauspiel gewesen. Hier hatte aber auch 1978 das legendäre Open-Air-Konzert mit Bob Dylan stattgefunden. 80 000 Musikfans hatten von dieser Tribüne aus nicht dem Führer, sondern dem friedensbewegten Songwriter zugejubelt. Beaufort war dafür damals zu jung gewesen, aber er kannte Leute, die noch heute feuchte Augen bekamen, wenn sie daran dachten, wie Dylan zu den am Himmel explodierenden Raketen eines Feuerwerks Forever Young gesungen hatte.
    Beaufort massierte seine Schläfen. Die Kopfschmerzen waren an der frischen Luft etwas abgeklungen, die Übelkeit beinahe vollständig verflogen. Er sehnte sich nach einem starken Kaffee und hatte Appetit auf frische Brötchen. Daher beschloss er wieder heimzufahren; per Handy bestellte er sich ein Taxi. Als er langsam die Stufen hinabstieg, bemerkte er einen grünen Jaguar, der im Schritttempo an der Tribüne entlangfuhr. Der Wagen hielt, und ein alter Bekannter stieg aus. Er ging zum Fuße der Führerkanzel und beobachtete, wie Beamte gerade versuchten, den immer noch aufrecht fixierten Leichnam mit einer Plastikplane zu bedecken. Heute wirkte Hagen Markgraf überhaupt nicht erregt, sondern im Gegenteil ganz ruhig und gefasst.
     
    *
     
    Katja’s Zooeck’la – Fachgeschäft für Heimtiernahrung & Zubehör. Das bunte Ladenschild in der Willstraße, unter dem Frank Beaufort stehen geblieben war, sorgte für seine erste echte Erheiterung an diesem trüben Tag. Einen Apostroph dort hinzusetzen, wo keiner hingehörte, erfreute sich ja immer noch ungebrochener Beliebtheit bei Ladeninhabern. Aber das Ganze gleich im Doppelpack, und dann auch noch gepaart mit der fränkischen Verniedlichungsform, war ein echtes Fundstück für seine Sammlung. Das war so beherzt danebengegangen, dass es geradezu anrührend wirkte. Wenn er das nächste Mal diesen Spazierweg zu Ekki einschlug, musste er unbedingt den Fotoapparat einstecken, nahm Beaufort sich vor.
    Im Vorzimmer des Justizsprechers servierte ihm dessen Sekretär frisch gebrühten grünen Tee. Obwohl Beaufort ein paar Minuten zu spät war, musste er noch warten. Ekki führte in seinem Büro gerade ein wichtiges Gespräch mit der persönlichen Referentin des Oberbürgermeisters. So gehe das heute schon den ganzen Tag, offenbarte ihm der Sekretär. Seit dem Leichenfund auf der Zeppelintribüne habe es keine Ruhe mehr gegeben. Anrufe und Anfragen ohne Ende, und zur allgemeinen Hektik komme auch noch dieser aufgeregte Ton. Und dass er schon seit einer halben Stunde Feierabend habe, interessiere heute anscheinend auch niemanden. Sicher schaffe er es nicht mehr rechtzeitig zu seinem Friseurtermin. Doch wenn er den Duke of Haircuts versetze, würde es wieder Wochen dauern, bis er bei ihm einen neuen Termin bekäme.
    Während Beaufort dem Geplapper des Sekretärs nur mit halbem Ohr zuhörte, wurde es drinnen in Ekkis Büro laut. Offenbar fand dort ein heftiges Wortgefecht zwischen seinem Freund und der Referentin statt. Die Stimmen näherten sich schließlich, mit einem Ruck wurde die Tür aufgerissen und eine erregte Frau in einem eleganten braunen Kostüm und fliederfarbener Bluse erschien. Auf der Schwelle drehte sie sich noch einmal um und sagte: »Ich erwarte, dass Sie mit Hochdruck an diesem Fall arbeiten. Der Imageschaden für Nürnberg ist gar nicht wieder gutzumachen. Was haben wir nicht alles für Anstrengungen unternommen, um von der ›Stadt der Reichsparteitage‹ zur ›Stadt der Menschenrechte‹ zu werden, und jetzt das. Der Oberbürgermeister wünscht, dass Sie alle Hebel in Bewegung setzen. Guten Tag!«, sprach sie und rauschte davon.
    »Zimtzicke«, zischte Ertl, das Vorzimmer betretend.
    »Na, na, Ekki«, sagte Beaufort fröhlich, »Beleidigung direkt vom Richter, du solltest dich ein bisschen besser unter Kontrolle haben.«
    »Ist doch wahr. So eine arrogante Tussi. Was bildet die sich ein! Meint die, mir ist das recht, wenn die obszönen Bilder des toten Gessner auf der Zeppelintribüne über alle Mattscheiben flimmern?« Er äffte sie nach:

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