Requiem
ihr ihn denn suchen wollen?«
»Vielleicht hast du recht. Wahrscheinlich war Gessner auch schon tot, als du in Hersbruck warst. Schließlich muss er bereits am Dienstagabend entführt worden sein, weil er am Mittwoch nicht zur Gerichtsverhandlung erschienen ist und sein Haus seit diesem Tag überwacht wurde.« Ertl nahm den Telefonhörer ab und drückte eine Taste. »Ist denn der Obduktionsbericht immer noch nicht da? Was? Schon seit einer halben Stunde?«
Wütend warf er den Hörer auf die Gabel. Im selben Moment trat der hochrote Sekretär ins Zimmer und reichte seinem Chef ein engbeschriebenes Fax. Der Justizsprecher studierte es angespannt, und Beaufort versuchte aus der Miene seines Freundes etwas abzulesen. Als Ertl fertig war, ließ er das Schriftstück auf die Schreibtischplatte gleiten, sank in seinen Stuhl zurück und massierte sich müde die Nasenwurzel.
»Was steht drin, Ekki?«, fragte er gespannt. »Komm schon, spann mich nicht so auf die Folter.«
»Wenn du wüsstest, wie unpassend das ist, was du da gerade sagst. Diesmal gab es keinen schnellen Tod für das Opfer. Gessner ist massiv gefoltert worden. Er weist am ganzen Körper mehr als 50 Schnitt- und Stichverletzungen auf, die ziemlich wahrscheinlich von derselben Tatwaffe wie bei der ersten Leiche stammen. Und natürlich ist auch die Zeppelintribüne nicht der Ort, an dem er getötet wurde, aber davon war ja auch nicht auszugehen.«
Beaufort schluckte. »Und wann ist er gestorben?«
»Erst gestern Abend. Gessner war demnach rund 48 Stunden lebend in der Hand dieses Sadisten. Was für ein Martyrium.«
Beide Männer schwiegen betroffen.
»Gibt es irgendeinen Zusammenhang zwischen den beiden Toten? Ich meine, außer dem des Rechtsradikalismus.«
»Ich weiß es noch nicht. Im Moment sieht es ganz so aus, als ob wir es mit einem perversen Nazihasser zu tun hätten.«
*
Beaufort stand inmitten einer kleinen Dampfwolke in Annes Küche, pfiff mit Vince Guaraldis Piano das Linus-and-Lucy-Theme aus den Peanuts um die Wette und fuhr sorgfältig mit dem heißen Eisen die Knopfleiste einer orangerotgestreiften Bluse entlang. Beaufort bügelte. Er tat es gern, weil sich dabei so schön nachdenken ließ. Und er tat es gut, obwohl er daheim kaum je Gelegenheit dazu hatte, denn Frau Seidl verbot sich diesen Eingriff in ihr Haushaltsressort aufs Strikteste. Er bügelte zuerst Kragen und Schulterpartien, danach das rechte Vorderteil, den Rücken und das linke Vorderteil und zum Schluss die beiden Ärmel, die er noch mal um 90 Grad drehte, um die Bügelfalten herauszuplätten. Beaufort wollte Anne eine Freude machen. Ein frischer Blumenstrauß stand auf dem Tisch, auf dem Herd köchelte eine Minestrone, und im Kühlschrank hatte er Häppchen mit Lachs und Forelle vorbereitet, hübsch dekoriert mit Ei und Kaviar, Zitronenschnitzen, Dill und Sahnemeerrettich. Auch einen Bocksbeutel Scheurebe vom Würzburger Stein hatte er kaltgestellt. Es war alles bereitet für einen kriminologisch-analytischen Abend mit möglichem erotischen Finale. Gerade legte er letzten Bügelschliff an eine eierschalenfarbene, leicht transparente Bluse, als er Anne zur Wohnungstür hereinkommen hörte.
»Was machst du denn hier?«, fragte sie erstaunt, die Küche betretend. Anne hatte noch Jacke und Schuhe an. »Haben wir uns verabredet?«
»Ich wollte dich überraschen«, sagte Beaufort aufgeräumt. Die Abendsonne schickte ihre Strahlen waagerecht durch das Fenster, vor dem ihr Freund mit dem Dampfbügeleisen hantierte, und ließ ihn in einem goldenen Strahlenkranz leuchten. Anne guckte in den Topf auf dem Herd, schnupperte am Blumenstrauß und gab Beaufort einen Begrüßungskuss. Der betrachte mit Stolz seine fertiggestellte Arbeit und hängte die Bluse auf einen Bügel – an dieser hier war wirklich nicht mehr die allerkleinste Falte zu finden.
»Das ist ganz goldig, aber ich muss gleich wieder weg«, sagte Anne so zartfühlend sie konnte, »hast du vergessen, dass heute mein Casting ist?« Sie legte ihre Stirn in Falten und hielt den Kopf schief. »Außerdem ist das da eine Knitterlookbluse. Aber das bekomme ich schon wieder hin.« Sie nahm ihm das Kleidungsstück aus der Hand, hielt es unter den Wasserhahn, verdrehte es zu einer nassen Stoffwurst und legte sein zerstörtes Werk auf die Fensterbank zum Trocknen.
Ein Fausthieb in die Magengrube hätte Beaufort nicht härter treffen können. Er tat und machte und bereitete alles vor für einen gemütlichen Abend zu zweit,
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