Requiem
flüsterte der.
»Ich habe uns ein paar Dinkel-Plätzchen mitgebracht. Mögen Sie noch ein wenig Kaffee?«
Zu dritt saßen sie auf der kleinen Terrasse und unterhielten sich lange über die rechte und die linke Szene. Frieder erzählte, wie eine Familie in Fürth immer wieder von den Braunen gezielt attackiert wurde, wie eine Gruppe Neonazis nach einer Kundgebung in Wunsiedel in einem Nahverkehrszug Gegendemonstranten angegriffen und verprügelt hatte, wie die Rechtsextremen auf Demonstrationen Fotos schossen und diese dann mit Gewaltaufrufen ins Internet stellten und wie ihr Antifa-Lautsprecherwagen zerstört wurde – die Reifen des Kleinbusses waren zerstochen, alle Scheiben eingeschlagen und der Auspuff mit Bauschaum verstopft worden. Er berichtete aber auch von der täglichen gedankenlosen Fremdenfeindlichkeit in Schule oder U-Bahn und von einseitigen Übergriffen der Polizei auf linke Gegendemonstranten. Sechsmal war er schon auf einer einzigen Demonstration in Gräfenberg kontrolliert worden, das ging bereits am Nordostbahnhof in Nürnberg los, während man die Nazis viel weniger filzte, empörte er sich. Auch würde das USK, das Unterstützungssonderkommando, häufig zu hart zur Sache gehen und wegen des Vermummungsverbots erbarmungslos jeden Gegendemonstranten aus dem Pulk ziehen, der einen Schal vor den Mund zog. Bereits zweimal war er schon eingekesselt worden und zusammen mit anderen Demonstranten, darunter ganz normale Passanten, über eine Stunde einfach festgehalten worden.
»Und dann stand der Frieder auch schon vor dem Jugendgericht und hat vier Tage Freizeitarrest abbüßen müssen. Bloß, weil er am Vorabend einer Neonazi-Demo an der Strecke linke Parolen auf drei Häuserwände geschmiert hat. Es war abwaschbare Straßenmalkreide«, empörte sich seine Mutter. »Doch damit hat er Gottseidank aufgehört. Stell ja nichts Illegales mehr an, hörst du! Du kannst demonstrieren gehen, das ist dein gutes Grundrecht, aber mehr nicht.«
»Ja doch, Mama«, beeilte er sich zuzustimmen, aber so ganz glaubte Beaufort der Beteuerung des Jungen nicht. Mütterliche Ermahnungen hatten ihn in diesem Alter auch nicht besonders interessiert, erinnerte er sich. Und er konnte sich gut vorstellen, dass Frieder seinem Namen nicht immer alle Ehre machte. In einer Frage herrschte aber definitive Übereinstimmung zwischen Mutter und Sohn. Sie waren sich einig, dass der Mörder nicht aus der autonomen Szene stammte. Einen so abgrundtiefen Hass auf Neonazis, der bis über Leichen ging, hatten beide noch nie erlebt.
»Das ist eindeutig die Tat eines Psychopathen«, urteilte die Frau.
»Obwohl die Inszenierung der Toten echt cool ist.«
»Jetzt hör aber auf«, schimpfte sie ihren Sohn.
Mit einem Mal ging die Sonne weg und es frischte auf. Alle drei schauten hoch in den Himmel. Von Norden her näherte sich drohend eine dicke dunkle Wolkenfront.
»Das sieht aber stark nach Gewitter aus«, unkte die Frau.
»Ich fürchte auch«, erwiderte Beaufort. »Wir haben uns so angeregt unterhalten, dass ich gar nicht bemerkt habe, was sich da oben zusammenbraut.« Er zog seine Taschenuhr aus der Tweedweste. »Was, schon halb sieben? Die Zeit ist ja wie im Flug vergangen.« In einer halben Stunde wollte Anne zum Essen kommen. »Ich mache mich mal lieber auf den Weg, damit ich noch trocken daheim ankomme. Vielen Dank für die Informationen. War nett, Sie beide kennen zu lernen.« Er gab Mutter und Sohn die Hand und verließ das Museum.
Vor dem Gebäude fegte der Wind weiße Blütenblätter durch die Straße und ließ eine Plastiktüte in der Luft tanzen. Beaufort setzte sich zügig in Bewegung. Einen Moment überlegte er, ob er sich ein Taxi rufen sollte, doch gleich vorn in der Pirckheimer Straße fuhr die Straßenbahn. Die Haltestelle lag genau unter einer hohen Robinie, deren Krone von einer Windböe heftig geschüttelt wurde. Seitdem Beaufort gelesen hatte, dass Ödön von Horváth, der vor den Nazis nach Paris ins Exil geflohen war, an einem warmen Sommertag mitten auf der Champs-Elysées von einem Ast erschlagen wurde, weil gerade ein Gewitter aufzog, hatte er Respekt vor alten Bäumen. Um den nötigen Sicherheitsabstand einzuhalten, drehte er sich um und ging ein paar Schritte zurück. Dabei bemerkte er, wie ein junger Mann eben aus der Kaulbachstraße trat, ihn sah, ruckartig kehrtmachte und wieder darin verschwand. Merkwürdiges Verhalten, dachte Beaufort. Irgendwo hatte er den Burschen schon mal gesehen.
Das Klingeln der
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