Requiem
Er gab ihm die Hand. »Du lässt es dir ja gut gehen.«
»Warum auch nicht? Ich habe schließlich Ruhetag. Aber setz dich zu mir.«
»Das hatte ich ganz vergessen. Da habe ich ja Glück gehabt. Ich wollte dich nämlich was fragen.« Beaufort setzte sich neben den Weinhändler an die Hauswand.
»Du möchtest wissen, warum ich heute da bin, stimmt’s? Ich habe gerade eine Lieferung aus Österreich bekommen. Diesen Riesling musst du einfach probieren.« Damit verschwand Wolf-Dieter leicht schwankend in seinem Laden, und Beaufort verfolgte gelassen das Treiben auf dem Platz. Vor dem Zwei-Sterne-Restaurant Essigbrätlein gegenüber wurde aus einem Lieferwagen Ware ausgeladen, ein junger Mann in schwarzer Lederjacke telefonierte in einem Hauseingang auf seinem Handy, und eine Gruppe asiatischer Touristen marschierte in geordneten Zweierreihen Richtung Sebalduskirche, einige der Frauen hatten ihre Regenschirme zum Schutz gegen die Sonne aufgespannt.
Der Weinhändler kam mit einem Glas und einer Flasche zurück. Er schenkte Beaufort ungefragt ein und sich nach.
»Ist es nicht noch etwas zu früh für ein Gläschen?«
»Für einen guten Riesling ist es nie zu früh. Wohlsein.«
Beaufort schnupperte ins Glas hinein, ließ die goldgelbe Flüssigkeit heftig kreisen, roch erneut daran, nahm einen Schluck und kaute den leicht moussierenden Wein, bis er sein fruchtiges Aroma ganz freigab.
»Das ist ein Tröpfchen, was?« Wolf-Dieter geriet ins Schwärmen. »Die beste Lage in der Wachau. Und dann noch ein Bio-Wein.«
»Was habt ihr bloß alle mit Bio in letzter Zeit?«
»Wenn du eine Ahnung hättest, was die so auf die Weinberge spritzen. Und dazu diese künstlichen Hefen und Zusatzstoffe. Da lob’ ich mir Traditionswinzer, die ihren Wein noch mit viel Handarbeit kultivieren. Außerdem liegt Bio im Trend, ich muss meinen Kunden was anbieten in dieser Richtung.«
»Mich interessiert eigentlich weniger, ob ein Lebensmittel Bio ist oder nicht, Hauptsache die Qualität stimmt.« Beaufort trank einen großen Schluck. »Und dieser Riesling hier ist jedenfalls wirklich gut. Gehst du eigentlich auf die Bio-Fach? Die beginnt doch morgen.«
»Ja, einen Tag nehme ich mir immer Zeit dafür. Wieso?«
»Kennst du vielleicht einen Hagen Markgraf vom Verband der Bioerzeuger?«
»Nee, nie gehört.« Wolf-Dieter legte sich behaglich zurück und kippelte mit seinem Stuhl an die Hauswand. »Muss ich den kennen?«
»Ach, das war nur so eine Idee von mir.«
»War das die Frage, wegen der du extra zu mir gekommen bist?«
»Nein, das war sie noch nicht. Außerdem komme ich immer gern zu dir, weil du der einzige poesieliebende Weinhändler bist, den ich kenne. Ich brauche mal eine Auskunft vom Altachtundsechziger. Du schwärmst doch heute noch manchmal von euren Friedensdemos, Kifferpartys und Mao-Bibeln.«
»Tolle Zeiten hab ich erlebt und hab nicht ermangelt, selbst auch töricht zu sein, wie es die Zeit mir gebot«, zitierte Wolf-Dieter und leerte sein Glas mit einem Zug.
»Wolf Biermann war das aber nicht?«
»Goethe. Venezianische Epigramme . Du siehst, ich bin voll im Establishment gelandet.«
Beaufort lachte. »Da mach dir mal keine Sorgen, Goethe zu zitieren ist in unserer Zeit geradezu elitär. Das Establishment bewegt sich kulturell wohl mehr zwischen Traumschiff und Deutschland sucht den Superstar , fürchte ich. Aber um auf meine Frage zurückzukommen: Ich würde gern von dir wissen, wo sich hier die Antifaschistische Szene herumtreibt?«
Das erstaunte den Weinhändler dann doch, und Beaufort erklärte es ihm. Wolf-Dieter überlegte: »Früher hätte ich dich ins KOMM geschickt, aber das kannst du völlig vergessen. Kontakt in die Szene bekommst du vielleicht über den einen oder anderen Kulturladen. Dann gibt es da noch die Desi in Johannis, wo es alternative Musikkonzerte gibt, das Friedensmuseum vielleicht, und das Nachbarschaftshaus in Gostenhof fällt mir noch ein. Aber mit deinem Outfit fällst du da überall mehr auf, als wenn du am ganzen Körper tätowiert wärst.«
»Ich werde mich ganz gewiss nicht mit einer zerrissenen Jeans und einem Kapuzenshirt kostümieren«, sagte Beaufort bestimmt und erhob sich.
»Du willst schon wieder gehen?« Wolf-Dieter goss sich aus der Flasche nach, wobei er Wein verkleckerte und bot auch Beaufort davon an. Doch der schüttelte den Kopf. »Ein kleines Räuschle wäre doch jetzt gar nicht schlecht.«
»Wenn du nur einen kleinen Schwips haben willst«, antwortete Beaufort
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